Boden, der gut tut

05.12.2023Text: FLORIAN WÜSTHOLZ

FLORIAN WÜSTHOLZ

FLORIAN WÜSTHOLZ ist freier Journalist und schreibt über Umwelt- und Klimathemen. Der Internationale Weltbodentag ist am
5. Dezember.

Manche behaupten, Jäten sei etwas vom Meditativsten, das es auf unserer schönen Welt gibt. Man könne so wunderbar in sich gehen, wenn man mit der Pendelhacke zwischen Reihen von Zwiebeln, Kohlrabi, Rüebli und Fenchel durchrattert. Einatmen, bücken und Beikraut aus der Erde klauben, ausatmen.

Einatmen, Schweiss abwischen, ausatmen. Ich finde Jäten vor allem mühsam – und mache es trotzdem.

Bis vor ein paar Jahren bestand mein Pflanzenreich aus Terrakottatöpfen auf dem Balkon. Pflanzfertige Erde aus dem Supermarkt kaufen, Setzlinge rein, giessen, fertig. Jäten unnötig. Es wurde aber auch nicht viel geerntet.

Hier auf dem Acker von «TaPatate!» im frei­burgischen Wallenbuch muss schon etwas mehr rausspringen als die vierzehn Cherrytomaten, die ich jeweils Ende September in meiner Balkonplantage pflücken konnte. Und so baue ich nach dem ewigen Jäten auf dem Feld einen halben Tag lang das Gewächshaus um – die Tomaten brauchen Platz und Luft. Immerhin wollen rund hundert Menschen im Umkreis von Bern jede Woche einen Sack voll Gemüse kriegen. Sie alle sind Teil einer Gemeinschaft, die eine Solidarische Landwirtschaft leben will. Sind sie auch Teil einer besseren Landwirtschaft? Die Idee dahinter: Landwirt*innen und Konsumierende spannen zusammen. Man gründet zum Beispiel einen Verein und pachtet ein Stück Land. Die Vereinsmitglieder zahlen einen Jahresbeitrag. Dieser soll die Kosten für die Produktion von Gemüse und Obst decken: für die Löhne der Gemüsegärtner*innen, für Saatgut, Dünger und Maschinen. Ungefähr 40 solcher Initiativen gibt es gemäss der Kooperationsstelle für Solidarische Landwirtschaft in der Schweiz. Jede besitzt ihre Eigenart.

Das kommt daher, dass Solidarische Landwirtschaft auch bedeutet: zusammensitzen, diskutieren, gemeinsam entscheiden. Was soll angebaut werden? Und wie viel davon? Unter welchen Bedingungen? Wie sorgen wir dafür, dass es auch im Winter immer etwas für die Mitglieder gibt? Welchen Lohn kann man zahlen? Wie hoch soll der Jahresbeitrag sein? Sollen je nach finanziellen Verhältnissen unterschiedliche Beiträge möglich sein? Und wie viele Halbtage soll jedes Mitglied im Jahr auf dem Feld mithelfen? Mitbestimmung und Gemeinschaft sind Teil des Ganzen: Alles, was auf den Feldern wächst, wird gleichmässig an die Mitglieder verteilt. Quillt das Lager mit Kartoffeln über, heisst das: fleissig Rösti machen. Machen sich die Mäuse am Broccoli zu schaffen, haben alle Pech – ausser die Mäuse. Das Risiko wird auf viele Schultern verteilt. Und die Freude ebenso. Nur Gurken im Winter kann man sich gleich abschminken.

Auch die Solidarische Landwirtschaft braucht etwas, damit überhaupt Gemüse wächst: Boden. Weltweit wachsen rund 95 Prozent unseres Essens im Boden. Er reinigt unser Trinkwasser und speichert CO2. Er ist Lebensraum für unzählige Arten. Ohne ihn gäbe es kein menschliches Leben – und trotzdem geht es dem Boden in der Schweiz und überall auf der Welt schlecht. Denn wir tragen ihm wenig Sorge. Es lohnt sich, uns am heutigen Weltbodentag die Bedeutsamkeit unserer Lebensgrundlage vor Augen zu führen. Oder wie oft denken wir an die Gesundheit der Böden?

«Der Boden muss als die am wenigsten gewürdigte natürliche Ressource bezeichnet werden», schrieb das Bundesamt für Umwelt 2017 in einem Bericht über den Bodenzustand in der Schweiz. Unser Umgang damit sei nicht nachhaltig und «die langfristige Erhaltung der Bodenfunktionen» infrage gestellt.

Hinter dem poetischen Behördendeutsch steckt die Beobachtung eines weltweiten Trends: Die Qualität der Böden sinkt. Überall auf der Welt gibt es Überdüngung, Pestizideinsatz, Verdichtung durch schwere Maschinen, Erosion und Landschaftsverlust infolge Überbauung oder Versiegelung. Die Folgen sind Ernteausfälle, Rückgang der Biodiversität, Überschwemmungen, Hunger und Kosten von 300 Milliarden Euro pro Jahr.

Wir zerstören langsam unsere Lebensgrundlage. Und merken es kaum. Vielleicht kommt die Solidarische Landwirtschaft da gerade recht. Sie verspricht ein wiederzugewinnendes Verhältnis zu unserer Nahrung. Und zu dem Boden, auf dem sie wächst. Sie soll uns zeigen, was es braucht, damit wir satt werden.

Es ist Frühling. Nach einer kalten einstündigen Velofahrt ins Grüne setze ich mich in die Morgensonne und putze den frisch geernteten Lauch. Der Nebel hängt noch ein bisschen über den Feldern, doch die Arbeit wärmt mich auf. Jeder Lauch geht durch meine Finger, bevor er ins Körbchen kommt. Wenn ich ihn ein paar Tage später wieder aus meinem Gemüsesack holen werde, ist es wie ein Wiedersehen. Ein schönes Gefühl.

Dann geht es ans Anpflanzen. Mit der Hacke lockere ich den Boden auf – 30 Meter hin und 30 Meter zurück. Als Nächstes kommt organischer Dünger drauf. Dann wird jeder Salatsetzling von Hand angepflanzt und die Erde festgedrückt. Das Massband liegt daneben. Immer brav Abstand halten, damit die Köpfe später genügend Platz haben.

Die Arbeit ist schön. Sie ist schweisstreibend. Ich gebe es zu, es ist meditativ. Mein Blick schweift aufs Feld nebenan. Dort wird konventionell angebaut. Ein Traktor rollt vorbei und lockert das riesige Feld in wenigen Minuten auf. Er macht die gleiche Arbeit wie ich – nur viel effizienter. Aber effizient heisst auch: nicht so umweltschonend, nicht so nachhaltig, nicht so bodenfreundlich.

Studien haben ergeben, dass es den Böden im biologischen und biodynamischen Anbau deutlich besser geht, als wenn konventionell gearbeitet wird. Konventionell heisst meist: mineralische Dünger aus umweltzerstörendem Bergbau, schwere Traktoren, die den Boden verdichten und das Leben für Kleintiere und Mikroorganismen erschweren. Und: Pestizide, Fungizide, Herbizide, Akarizide. Wachsen darf nur, was wir für «nützlich» befinden – was unseren Richtlinien und Kriterien entspricht, was anschliessend auf unseren Tellern landet.

Natürlich frage ich mich auch: Können 40 Initiativen in der Schweiz mit ihren je rund 100 Mitgliedern daran etwas ändern? 4000 Idealist*innen gegen die Macht der Agrarindustrie? Das gelingt kaum. Aber es vermittelt wieder mehr Verständnis und Wertschätzung für die bäuerliche Arbeit und die Leistungen unserer Natur. Klar, wir alle wissen, dass die Milch nicht aus dem Regal kommt. Aber wussten Sie, wie viel Arbeit in einem Kilo Bohnen steckt? Im Supermarkt kostet es 13 Franken. Ist das wirklich ein angemessener Preis? Nur bei Spargel sind sich interessanterweise alle bewusst, dass sich die Ernte niemand freiwillig antut – und dafür Erntehelfer*innen aus dem Ausland kommen. Erntehelfer*innen, deren Arbeitsbedingungen denkbar problematisch sind.

Wo wir schon beim Preis sind. Solidarische Landwirtschaft bedeutet leider auch: ziemlich teures Gemüse. Bio – vielleicht sogar Demeter – ist um Welten teurer als konventionell angebaute Produkte. Der Preis spiegelt wider, was es kostet, wenn wir unsere Böden, unsere Umwelt, unsere Mit­lebewesen und ­menschen nicht kaputt machen wollen. Wenn wir die echten Kosten nicht einfach auf die Zukunft oder andere abwälzen. Hilft allerdings wenig, wenn das Portemonnaie dünn ist.

Ist Solidarische Landwirtschaft ein Wohlfühlprojekt für Wohlstandsverwöhnte? Vielleicht. Manche Initiativen passen immerhin die Beiträge an die ökonomischen Möglichkeiten der Mitglieder an. Wer wenig verdient, zahlt auch weniger – und erhält am Ende trotzdem gleich viele Gurken und Zucchetti. Solidarischer ginge natürlich immer noch.

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