Den Blick schärfen

10.12.2023Text: SASCHA LARA BLEULER

SASCHA LARA BLEULER

SASCHA LARA BLEULER ist Direktorin des Human Rights Film Festival Zurich.

Das Weltgeschehen hielt uns auch dieses Jahr in Atem, sprang uns an die Gurgel, drückte uns die Kehle zu und stellte uns für ein paar Schrecksekunden die Luft ab. Die Schockstarre geht zuweilen über in Empörung, und immer wieder ergreift uns das Gefühl, nicht wirklich zu verstehen, wie uns und dieser Welt geschieht. Im gesamten politischen Spektrum herrscht eine tiefe Verunsicherung, wie man mit den Forderungen nach der Verteidigung «unserer Werte» umgehen soll. Bewegungen, die sich auf Nation, Religion oder Ethnie berufen, verführen ihre Anhänger*innen mit einem heimeligen Identitätsgefühl, das zugleich Ausgrenzungen zementiert. Wir sehnen uns nach einer Navigationshilfe inmitten des unübersichtlichen medialen Getöses. Die Debatten in den Sozialen Netzwerken toben teils so laut, dass leise Stimmen schlicht überbrüllt werden. Dieser oftmals aus dem Kontext gerissenen Flut von Meinungen, Bildern, Videos können Filme – Spielfilme wie Dokumentarfilme – mit differenzierten, geduldigen Bildwelten begegnen, welche dem Bedürfnis nach einer vertieften Auseinandersetzung mit der Welt gerecht werden.

Wir beim Human Rights Film Festival Zurich glauben daran, dass die emotionale Kraft der Filme und der dunkle Raum des Kinos uns ermutigen, genauer hinzuschauen. Wie das Unsagbare sichtbar machen? Das Kino der Menschenrechte setzt sich seit jeher künstlerisch mit diesem Spannungsfeld auseinander. Es wirft einen neugierigen Blick auf Menschen, die mit den festgefahrenen Zuschreibungen ringen und zeigen, dass Identitäten doch auch verästelt und kompliziert sind. Es mutet naiv an zu denken, dass Filme und Diskussionen die Welt verändern können, doch sie ermöglichen ein Eintauchen in andere Wirklichkeiten und schärfen unseren Blick. Oft zeigen die Protagonist*innen solcher Geschichten, dass Widerstand gegen willkürliche und strukturelle Gewalt schmerzhaft, aber auch kreativ und humorvoll sein kann. Ich denke an den unvergesslichen Moment, als der ägyptische Satiriker Bassem Youssef anlässlich der Premiere von «Tickling Giants» am Festival zu Gast war. Er erklärte stimmig, wie Satire und Humor starke Waffen sind, um den Mächtigen dieser Welt die Stirn zu bieten und sie letztendlich zu Fall zu bringen. Youssefs Biografie zeigt exemplarisch, wie jemand politische Verantwortung wahrnimmt und selbst unter Lebensgefahr nicht aufgibt. Unser Filmfestival setzt diesem ungebrochenen Mut ein Denkmal und ist ein Versuch, durch die Kraft des Kinos den Widrigkeiten der Welt etwas entgegenzusetzen: Es muss heftig geträumt werden, bevor sich der Fokus verschiebt, das Verschwommene deutlich wird und die Wahrnehmung sich verändert.

Zum Internationalen Tag der Menschenrechte am 10. Dezember zeigt das HRFF das Drama «Io Capitano» im Kino Riffraff in Zürich. Das Festival findet vom 4. bis 10. April 2024 statt.

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