Die Pyramide des Diktators

15.12.2023Text: FRANZISKA TSCHINDERLE, Illustration: KATRIN VON NIEDERHÄUSERN

FRANZISKA TSCHINDERLE

FRANZISKA TSCHINDERLE ist Journalistin mit Schwerpunkt Balkan. Sie lebt in Tirana und hat 2022 ein Buch über Albanien veröffentlicht.

Brutalistische Gebäude erleben einen Hype. Backpacker*innen, Hipster und Architektur-Student*innen machen auf ihrer mehrwöchigen Balkan-Reise Fotos von sozialistischen Grossbauten und lieben deren «rohen Charme». Man könnte auch sagen: Das Hässliche ist cool geworden.

So auch mit einer Pyramide in Tirana. Mitten im Zentrum der albanischen Hauptstadt steht der eigenwillige Bau, 1988 zu Ehren des sozialistischen Diktators Enver Hoxha errichtet. Hoxha war drei Jahre zuvor gestorben. Er gilt als einer der bizarrsten, aber auch brutalsten Sozialisten, die das moderne Europa bisher hervorgebracht hat. Arbeitslager, Schussbefehl an der Grenze und hunderttausende Bunker waren Teil seines sozialistischen Regimes, das Albanien den Spitznamen einbrachte: das Nordkorea Europas.

Bis heute finden sich in Albanien Überbleibsel aus dieser Ära: Tunnel für Kriegsgerät in den Bergen, Ziegelsteinbaracken mit verblichenen kommunistischen Parolen oder stillgelegte Fabriken. Die Pyramide aber ist das mit Abstand eigenwilligste Gebäude, gebaut aus weissem Marmor, rotem Stahl und bläulich schimmerndem Glas. Von oben sieht sie wie ein Stern aus – das Symbol der Partisanen im Zweiten Weltkrieg. Nach dem Ende der Sozialistischen Volksrepublik Albanien versank die Pyramide im Müll und Jugendliche nutzten ihre Flanken als Rutschbahn.

Damit ist es jetzt vorbei. Nun soll die Pyramide von Tirana das neue Aushängeschild der Stadt werden. Ein Architekturbüro aus Dänemark hat die Pyramide für über zwölf Millionen Euro umgestalten und renovieren lassen, finanziert mit Geldern aus öffentlichen Töpfen und Entwicklungsfonds. Im Inneren können sich Start-up-Firmen, Tech-Labors, Universitäten und Cafés einmieten. All das passt gut zur Vision des neoliberalen Bürgermeisters Erion Veliaj, der formal zwar einer sozialdemokratischen Partei angehört, in der Praxis aber für eine gänzlich andere Politik steht, nämlich den Ausverkauf der Stadt an Investor*innen. Unter ihm hat sich Tirana, einst rückständig und isoliert, zu einer Stadt entwickelt, die in Architektur-Magazinen auf der ganzen Welt gefeiert wird. Das ist zumindest die Fassade, die Veliaj zeigt.

Hinter den Kulissen hat Tirana zu kämpfen: steigende Mieten, kein Trinkwasser in den Wohnungen und ein mangelhaftes öffentliches Verkehrsnetz. Tirana hat kein U-Bahnoder Tramnetz, nur ein paar Buslinien. Insbesondere an den Rändern der schnell wachsenden Stadt grassiert die Armut. Diese Seite aber zeigt der Bürgermeister nur selten auf seinem Instagram-Account. Er poliert lieber das Stadtzentrum auf.

Wie die Pyramide: Jahrelang tobte der Streit über die Frage, was mit dem Denkmal des Diktators geschehen sollte. Ein Nachtclub oder doch ein Parlament? Ein Atelier für Künstler*innen? Einige plädierten dafür, sie einfach stehen zu lassen, weil sie – so hässlich sie auch war – zur Geschichte Albaniens dazugehört. Immerhin hat das Land auch die italienischen Palazzi aus der Zeit des Faschismus nicht abgerissen. Albanien muss damit zurechtkommen, dass der Grossteil seiner Infrastruktur auf diktatorische Zeiten zurückgeht. Das Land ist erst seit knapp dreissig Jahren eine Demokratie.

Drängender schien mir die Frage: Wer wird die Pyramide nutzen? Tirana fehlt es an öffentlichen Orten, die Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten zugänglich sind, wo man sich aufhalten kann, ohne etwas konsumieren zu müssen: Parks, Spielplätze, Flaniermeilen mit Bänken. Was, wenn die Pyramide am Ende zu einer Einkaufsmall würde, von der wieder nur ein Teil der Bevölkerung profitiert?

Heute ist die Pyramide ein Erlebnis. Im Winter, wenn es früh dunkel wird, kann man tagsüber an der Spitze die letzten Sonnenstrahlen geniessen und sich mit einem Coffee to go auf die Stufen setzen. Es ist ein Ort, an dem albanische Jugendliche auf ausländische Tourist*innen mit Selfie-Sticks treffen. Und genau das macht den Aufstieg auf die Pyramide zu einem politischen Erlebnis. Eine junge Generation holt sich zurück, was ihren Eltern und Grosseltern mit Zwang auferlegt wurde.

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