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Jubiläums-Konzerte
Rezept für einen erfolgreichen Strassenchor

Integration: Der Surprise Strassenchor bietet Menschen eine musikalische Heimat. Angebotsleiterin Paloma Selma Borja und Chorleiterin Ariane Rufino dos Santos verraten ihr Rezept für einen der meistgebuchten Chöre der Stadt Basel.

Zur Entstehungsgeschichte

«Neben dem Einkommen wollten wir damals den Heftverkaufenden ein weiteres Angebot zur sozialen Integration anbieten. Die Idee war, ein kulturelles Integrationsprojekt zu schaffen, damit sie sich auch untereinander besser kennenlernen und gemeinsam etwas unternehmen. Deshalb gründeten wir den Chor. Es gibt keine musikalischen Anforderungen. Viele Leute im Chor haben noch nie zuvor gesungen oder Musik gemacht. Bei uns kann jede und jeder mitsingen. Die Teilnehmenden sind zudem sehr authentisch. Sie drücken an den Proben aus, was sie gerade bewegt. Das Künstlerische steht bei uns nicht im Mittelpunkt, sondern das Gefühl von Zugehörigkeit. Gerade Armutsbetroffene fühlen sich oft nicht mehr als Teil der Gesellschaft. Die Leute kommen zu uns, weil sie die Gruppe suchen und der Vereinzelung entkommen möchten. Aus dem Chor sind viele Freundschaften entstanden und auch eine bereits lange andauernde Liebesbeziehung. Wir bieten ihnen eine Art musikalische Familie an.»

Geschmacksrichtung

«Wir singen in vielen Sprachen, die Dialektlieder sind am schwierigsten. Was wir besonders lieben, sind Roma-Lieder. Diese Musik passt auch sehr gut zu unserem Chor. Es hat traurige Elemente in dieser Musik, es gibt aber auch sehr festliche und begeisternde Momente. Wir sind sehr leidenschaftlich, oft sogar dramatisch. Wir sind ein lauter Chor. Es ist schwierig, die Singenden auch zu leisen Sequenzen zu bewegen. Das hat auch mit unserem Probelokal zu tun, in dem die Akustik stark gedämpft wird. Wenn wir dann in einem grösseren Raum singen, klingt es rasch viel lauter. Singen wir in einer Kirche, versuchen wir, die Leute etwas zu bremsen.»

Anlass

«Unsere Sängerinnen treten leidenschaftlich gerne auf. Wir sind inzwischen ziemlich bekannt und singen oft an Geburtstagen von sozialen Institutionen, wie beim Frauenwohnhaus oder der Gassenküche. Einmal haben wir auch bei einer Hochzeit gesungen. Privatpersonen fragen uns aber eher selten an. Tatsächlich sind wir einer der meistgebuchten Chöre der Stadt Basel. Wir haben bis zu fünfzehn Konzerte im Jahr. Inzwischen müssen wir sogar Angebote absagen. Wenn ein oder zwei Monate nichts läuft, werden die Sängerinnen und Sänger ungeduldig. Die Wertschätzung ist zentral für unsere Sänger. Sie kommen mit ihrer Art immer sehr gut an beim Publikum. Sie werden gehört und stehen im Rampenlicht. Gerade für Menschen, die sonst in der Gesellschaft eher übersehen werden, ist das eine wichtige Erfahrung. Wir wollen zeigen, dass alle diese Menschen zu unserer Gesellschaft gehören. Sie können etwas bieten, das die Herzen bewegt. Wir sind ein Chor, der sehr viel Herzensqualität rüberbringt.»

Zubereitung

«Neben dem kulturellen Zugang bieten wir auch soziale Unterstützung an. Wir vereinbaren Arzttermine, begleiten die Sängerinnen und Sänger zu Behörden, helfen beim Umzug oder beim Beantragen von Aufenthaltsbewilligungen. Manchmal suchen wir Zimmer für wohnungs- und obdachlose Sänger. Ansonsten organisieren wir uns mit dem Surprise-Vertrieb in Basel oder leiten die Betroffenen zu anderen Sozialinstitutionen weiter.»

Reifeprozess

«Seit der Chor vor zehn Jahren gegründet wurde, gab es sehr viele Veränderungen. Zu Beginn waren fast nur Verkaufende aus Eritrea und Somalia dabei. Dann kam eine Phase, in der sich der Chor mehr zu einer Band entwickelte und die meisten ein Instrument spielten. Seither sind wir stark gewachsen und haben über zwanzig Mitglieder. Für einige ist die Probe der persönliche Höhepunkt der Woche. Wir organisieren zudem verschiedene Ausflüge ins Grüne, veranstalte ein Abendessen, oder wir gehen zusammen an kulturelle Veranstaltungen. Es gibt Weihnachtsessen, wir feiern möglichst jeden Geburtstag. Es ist toll zu sehen, welche positiven Veränderungen die Sängerinnen und Sänger mit der Hilfe des Chors machen, wie die Leute im gemeinsamen Singen aufgehen und welche Ausstrahlung wir nach aussen haben. In den letzten zehn Jahren konnten wir unterschiedliche Persönlichkeiten auf ihrem Weg begleiten und viele spannende Künstlerinnen und Künstler bei unseren Workshops erleben.»

Ergebnis

«Unsere Sängerinnen und Sänger sind sehr erfolgsorientiert. Bewundert und beklatscht zu werden, das brauchen sie. Für uns ist ein Auftritt auch gelungen, wenn mehr als die Hälfte der Chormitglieder da sind. Früher wussten wir manchmal bis zur letzten Minute nicht, wer noch auftaucht. Mit der Verbindlichkeit ist es nicht immer einfach. Inzwischen sind die meisten aber sehr zuverlässig, trotz mancher Krisen. Die Qualität hat über die vergangenen acht Jahre zugenommen. Aber wir sind der Chor in der Region, der am meisten unreine Töne integriert und sie so stehen lässt. Für die Chorleiterin ist es nicht einfach zu akzeptieren, dass die musikalische Qualität rasch an Grenzen stösst. Aber bei uns spielt das eben nicht so eine Rolle. Was bei uns zählt, ist die Begeisterung. Singen ist ein Glücksfaktor. Es ist das einfachste Instrument, man hat es immer bei sich. Singen macht zufrieden, das weiss man aus vielen Studien. Es schafft ein Gemeinschaftsgefühl. Man ist in der Musik aufgenommen und gehört dazu. Tanzen und Singen sind auch Möglichkeiten, in eine andere Welt einzutauchen. Das ist auch eine wichtige Motivation für unsere Sängerinnen und Sänger.»