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Foto: Kostas Maros

Strassenfussballerinnen-Porträt
«Ich schaue nach vorne»

Karitia Yeo, 21, ist als einzige Frau Schiedsrichterin in der Surprise Strassenfussball-Liga. Ihr grosser Wunsch: Sie möchte ihre Mutter in Côte d’Ivoire unterstützen können.

«Ich komme aus Côte d’Ivoire und bin seit vier Jahren in Frankreich. Ich bin es nicht gewohnt, offen über meine Gefühle zu sprechen. In meiner Kultur ist der Einzelne nicht so wichtig. Ich mag es auch gar nicht, im Rampen­ licht zu stehen. Aber es ist mir wichtig, dass die Leute erfahren: Migranten aus Afrika wollen ein würdevolles Leben und der eigenen Familie helfen. Ich hatte Glück, mein Vater konnte mich über einen Familiennachzug nach Mulhouse holen, als ich 16 war. Wenn ich mit anderen Migranten rede, fühle ich mich privilegiert. Es gibt viele extreme Schicksale, Menschen, die ihr Leben auf dem Meer in kleinen Booten aufs Spiel setzen, nur um nach Europa zu kommen.

Meine Eltern trennten sich früh, mein Vater kam nach Europa, als ich vier war. Meine Mutter ist eine einfache Marktverkäuferin, weshalb mein Vater beschloss, dass ich besser bei seiner Mutter aufwachsen sollte. Er hatte Angst, dass ich sonst meiner Mutter auf dem Markt helfen müsste, anstatt zur Schule zu gehen. Es macht mich traurig, wenn ich daran denke, dass wir in Frank­ reich Sozialhilfe haben und alles, und in meiner Heimat eine Frau ihr einziges Kind weggeben muss, nur weil sie arm ist. Bei der Familie meiner Grossmutter konnte ich zwar essen, schlafen und zur Schule gehen, aber ich wurde schlecht und lieblos behandelt. Ich fühlte mich nicht wie ihre Enkelin, sondern als Last.

In Côte d’Ivoire stehen die Aussichten für die Jugend schlecht. In Mulhouse mache ich derzeit eine Ausbildung im Verkauf und weiss, dass ich später ein einigermassen sicheres Einkommen haben kann. Ich bin dankbar, dass mein Vater und seine Schweizer Frau so viel auf sich genommen haben, um mich nach Europa zu holen. Inzwischen habe ich noch drei kleine Halbgeschwister, die sehr süss sind. Ich fühle mich wie in einer richtigen afrikanischen Familie. Was mich zurzeit etwas traurig macht ist nur, dass meine Familie nun wieder in der Schweiz lebt, im Jura. Sie fanden eine günstige Wohn­möglichkeit. Ich habe bei ihnen zwar ein Zimmer für die Wochenenden, aber muss wegen der Ausbildung in Mulhouse leben. Ich bin jetzt 21 – für andere Mädchen in meinem Alter wäre es ein Traum, ganz alleine zu wohnen. Aber ich mag es viel lieber, Familie um mich zu haben. Ich hoffe, dass ich bald die französische Staats­bürgerschaft erhalte. Dann kann ich eine Aufenthalts­bewilligung für die Schweiz beantragen und nach der Ausbildung im Jura leben und arbeiten.

Neben meiner Familie gibt mir der Surprise Strassen­fussball Halt. Die sozialen Kontakte tun mir gut, denn ansonsten verbringe ich viel Zeit zuhause. Es ist ein bunt gemischter Haufen, aber jeder hat hier seinen Platz und wird respektiert. Zum Beispiel haben die Leute viel Verständnis dafür, dass ich kaum Deutsch spreche. Als Schiedsrichterin muss ich pfeifen, wenn jemand gegen die Regeln verstösst. Das ist kompliziert und erfordert eine richtige kleine Ausbildung. Ich bin bei Surprise die einzige Frau, die das Schiedsrichter­ Programm absolviert. Das macht mich stolz.

Ich bin alles in allem ein fröhlicher, zufriedener Mensch und lache viel. Zum Glück sind die Wunden aus meiner Kindheit und Jugend verheilt. Lieber schaue ich nach vorne. Ich will nicht viel vom Leben: die Ausbildung ab­ schliessen, ein einigermassen sicheres Einkommen, mal irgendwohin verreisen können, wo es warm ist und einen Strand hat. Und ich will meine Mutter finanziell unterstützen.»  

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 411 des Strassenmagazins.