Ich gehe sehr naiv bis kreativ mit der Aufgabe um, mich in Zürich zu orientieren, und so kommt es, dass ich seit vier Jahren fast täglich neue Dinge über die Stadt lerne. Oft reagiere ich darauf mit einem freudig-überraschten «Oh. So schön!» Dieses Mal war das ein bisschen anders. Ich sagte: «Waaaaaas?!» Ich war gerade mit einer ebenfalls schwarzen Kollegin im Zug von einer Frau rassistisch beschimpft worden. Warum, weiss ich auch nicht, das passiert halt manchmal. Wir wollten mit dem Taxi weiter, aber als ich gerade ins erstbeste am HB einsteigen will, hält mich meine Kollegin zurück und zieht mich zu einem anderen. Auf meinen fragenden Blick bekomme ich eine verstörende Erklärung: Sie sei schon des Öfteren von weissen Taxifahrern nicht mitgenommen worden, am Zürcher Bahnhof herrsche eine Art informelle Segregation. Sie und mehrere ihrer dunkelhäutigen Freunde hätten schon mehrfach erlebt, dass wartende oder vorbeifahrende Fahrer demonstrativ das Taxilicht ausschalteten, wenn sie sich ihnen näherten. Einmal sei sie von vier weissen Fahrern nacheinander abgewiesen worden, bevor sie endlich von einem Nicht-Weissen in der Reihe mitgenommen wurde.
Das ist schockierend. Auch, dass sie es völlig nüchtern erzählte, als handele es sich um etwas Gewöhnliches. Es geht nicht darum, dass der weisse Taxifahrer uns vielleicht doch mitgenommen hätte. Es geht darum, dass Rassismus Unsicherheit bedeutet. Unsicherheit, die so omnipräsent ist im Leben von NichtWeissen, wie es sich Weisse kaum vorstellen können. Unzählige alltägliche Situationen, in denen wir uns nicht sicher fühlen vor Rassismus. Das muss nicht gerade in physische Gewalt ausarten. Ich bin tatsächlich noch nie für meine Hautfarbe oder Religion zusammengeschlagen worden, mir hat noch nie jemand ein «U» für «Usländer» in die Stirn geritzt. Hah! Aber ich werde für meine Hautfarbe und Religion im öffentlichen Raum beschimpft, kontrolliert, mir wird misstraut und signalisiert, dass ich nicht «hierher gehöre». Das ständige Gefrage, woher ich komme, in jeder auch nur möglichen Situation, und die Erwartung, dass ich vor Fremden immer meine Familiengeschichte auspacke: Wer wann wohin gezogen ist und mit wem Sex hatte, ob meine Eltern noch zusammen sind, womöglich eine Scheinehe führen oder mich adoptiert haben, gekoppelt mit der Ignoranz gegenüber meiner Antwort: «Nein, ich meine richtig, wo kommst du richtig her?» Zufrieden sind diese Frager erst, wenn die Antwort irgendwas, egal was, mit Afrika beinhaltet.
Das ist Rassismus.
Ohne zu fragen in meine Haare zu fassen. Meine Antwort auf Deutsch konsequent überhören und auf Englisch weiterreden. Das ist das Alltägliche. Und dann kommen da noch die häufigen Einzelfälle dazu. Im Zug beschimpft werden. Als Einzige kontrolliert werden. Androhung von Gewalt. Rassistische Sprüche von Lehrpersonen, Polizisten. Und dann ist da noch das ständig unter medialem und politischem Beschuss zu stehen. Das macht was mit mir, mit uns. Es kreiert ein Unwohlsein, eine Angst, eine Unsicherheit. Ich höre oft Leute sagen, sie seien keine Rassisten. Das stimmt nicht. Wir sind alle in eine rassistische Struktur hineinsozialisiert und bewegen uns darin. Ich möchte, dass sich Weisse, wenn sie denn wollen, dass sich Nicht-Weisse in ihrem Umfeld wohlfühlen, damit auseinandersetzen. Denn ich fühle mich oft nicht wohl. Und ich wohne hier.