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Illustration: Rahel Nicole Eisenring

Moumouni...
...mit den Nachrichten

Ich habe in letzter Zeit gleich zwei Leute getroffen, die mir in einem Gespräch einfach so, frei heraus (ich habe nicht ge­fragt) erzählt haben, sie schauten keine Nachrichten mehr, weil das alles zu trau­rig sei, was da gezeigt werde. Ich erlaube mir, das zu kommentieren (auch wenn mich niemand gefragt hat), denn es hat mich ein wenig verwirrt.

Meine erste Reaktion war ein verständnis­ volles Nicken und ein wenig Mitleid. Nachrichten sind schon belastend, finde ich auch. Möchte man auf oberflächli­chen Beschreibungen bestehen, waren beide Personen weisse Männer Ende 30, die ansonsten gern und viel reisen und relativ wohlhabend sind. Mit relativ meine ich: Kim Kardashian würde wohl lachen, alle anderen vom armen Kind in Afrika bis zur Zürcher Studentin würden sagen: «Läuft bei dir!»

Leider erst im Nachhinein dachte ich: Komm schon, Junge! Du musst weder bei jeder Anschlagsmeldung hoffen, dass deine Familie nicht davon betroffen ist, noch dass die Meldung eine Auswirkung darauf hat, wie du in nächster Zeit als Mitglied einer Gesellschaft behandelt wirst. Kaum etwas im Leben dieser Män­ner ist von dem Bösen in den Nachrich­ ten, die zu schauen sie zu sehr deprimiert, auf irgendeine Weise gefährdet. Und doch ziehen sie es vor, über ihre Empfindsamkeit zu sprechen statt über die Missstände selbst.

Im weiteren Verlauf ging es im einen Gespräch um die Gefahr einer Invasion durch die Chinesen, im anderen um die Schönheit der Welt, die durch Reisen ausgiebig erkundet wurde. Weiter noch einige Themen, von denen ich fand, dass man sich eigentlich kaum ein Urteil darüber bilden kann, wenn man keine Nachrichten schaut. Ich glaube, es wäre mir lieber gewesen, sie hätten Sachen gesagt, wie: «Ist mir eigentlich wurscht, was in China passiert. Hauptsache, es fällt kein Sack Reis um und die wollen alle hierher.» Oder: «Hauptsache, der Flügelschlag irgendeines Schmetterlings klaut mir nicht die Butter vom Brot!»

Ich sollte vielleicht klarstellen, dass es mir nicht um die Einschaltquote von «10vor10» geht. Und ich verstehe auch, wenn man keine Lust hat, sich den Tag von Meldungen über Anschläge auf Flüchtlingsheime und Kriege in der Welt verderben zu lassen, oder zumindest von der Empathie, mit der man darauf rea­giert. Ich verstehe auch, dass es frustrie­rend ist, das Gefühl zu haben, man könne nichts gegen das Leid auf der Welt tun (viel reisen und viel konsumieren hilft allerdings auch nicht, glaube ich). Ich möchte jedoch beim besten Willen nicht auch noch Mitleid mit erwachsenen, wohlhabenden Männern haben müssen, die darüber jammern, wie sehr sie Nach­richten (die sie nicht einmal schauen) belasten. Ich finde es komisch, dass beide ihre Ignoranz als Sensibilität tarnten und sich lieber als besonders einfühlsam darstellten, als sich einfach als unpoli­ tisch zu outen.

Sich dafür entscheiden zu können, keine Nachrichten mehr zu schauen oder zu lesen, ist keine Schwäche. Sondern ein Privileg. Wie sagte Onkel Jill Scott Heron schon? «The Revolution will not be televised.» Damit hat er wohl recht. Vor allem, wenn keiner mehr hinschaut.   

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 412 des Surprise Strassenmagazins.

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