Als ich das erste Mal in der Schweiz mit weissen Deutschen über Diskriminierung gesprochen habe, musste ich lachen. Da sitzen diese bei der Uni angestellten Steffis und Thorbens mit mir in einer Runde, sind für mich kaum unterscheidbar von den Leuten, die mich in Deutschland immer fragen, wo ich denn «wirklich» herkomme, und beklagen sich über Rassismus und Diskriminierung aufgrund ihrer Herkunft. Das klang einfach absurd für mich. Ich bin in München geboren, schwarz (zumindest halb, aber genug, um ständig für mein gutes Deutsch gelobt zu werden), muslimisch und eine Frau. Ich verdiene mein Geld teilweise damit, für One-Love-Veranstaltungen Texte über Rassismus zu schreiben, vorzutragen und dafür Beifall, Wohlfühlgelaber oder gar Mitleid zu bekommen. Ich studiere Ethnologie und Wirtschaft; wenn jemand fragt, was man damit werden kann, sage ich spasseshalber «Menschenhändlerin», in Wahrheit ist es nämlich nichts. Ich könnte also sagen, ich kenne mich aus mit Diskriminierung, sei es aufgrund meiner Hautfarbe, Religion, meines Geschlechts oder Studienfachs. Hier in der Schweiz habe ich gelernt, aufgrund meiner bisher einzigen nicht-diskriminierbaren Eigenschaft – deutsch sein – gedisst zu werden und habe fast ein bisschen Freude daran. Aber klar, ich verstehe, dass es für Leute, die Diskriminierung nicht gewohnt sind, schwierig ist und weh tut, das zu erleben. Das tut mir leid.
Die Steffis und Thorstens wohnen seit mehreren Jahren in Zürich, haben einen guten Job und teilweise kaum Schweizer Freunde. Zürcher seien weniger kontaktfreudig. Am Arbeitsplatz haben sie sich zur Crew der Deutschen zusammengetan. Wir sprechen über die Sprache, keiner von ihnen kann Schweizerdeutsch. Ich überlege, ob ich einen zynischen Witz in Richtung «Integration?!» oder «Parallelgesellschaft!» machen soll, Begriffe, die in Deutschland hauptsächlich einem rassistischen, islamophoben Diskurs dienen.
Ein Freund von mir, Deutschtürke, freute sich, als er hier das erste Mal als «Scheiss Dütsche» beschimpft wurde: «Endlich erkennt mal jemand, dass ich deutsch bin! In Deutschland heisst es immer ‹Scheiss Kanake!»
Ich lebe seit fünf Jahren in der Schweiz. Ich hatte das Glück, mit meinen kleinen Cousinen Schweizerdeutsch zu lernen. Glück, weil es nicht so amüsant ist, das in ungeschütztem Rahmen zu tun. Schweizer reagieren oft empfindlich darauf, wenn es noch nicht authentisch klingt. Ein «-li» zu viel und schon bekommt man den einen oder anderen hässigen Kommentar. Inzwischen lachen mich meine Freunde in Deutschland für meine Helvetismen aus, denn ich habe angefangen, fliessend und einigermassen fehlerfrei eine Mischung aus Züriund Aargauerdütsch zu schwätzen (Der Rest der Deutschschweiz schreit: «Ou, gruusig!»). Es hat lange gedauert, bis ich das Kinderschweizerdeutsch losgeworden bin, (Pfusimockä, Füdli, Nuggi, Schnäbi, etc.) und sich mein Sprech an mein Alter angepasst hat (hueregeil, lässig, futzdumm, etc.). Ich fühle mich wohl hier, und die meisten meiner Freunde sind Schweizer. Wenn man mein Sprachniveau quantifizieren möchte, so habe ich wahrscheinlich C2. Das ist die Stufe, auf der man eloquent über «diä huere Dütsche» ablästern kann.