Kennen Sie den schon? Kommen drei Ökonomen in eine Bar ... Äh nein, falscher Text. Erstellen drei Ökonomen im Auftrag des Staatssekretariates für Wirtschaft (SECO) eine Studie über «Arbeitsanreize in der sozialen Sicherheit» und schreiben gleich zu Beginn: «Damit eine Beschäftigung zustande kommt, braucht es zusätzlich zu einem bestehenden Arbeitsangebot auch die dazu passende Arbeitsstelle sowie ein Matching von Arbeitsangebot und -nachfrage. In dieser Studie wird implizit davon ausgegangen, dass eine passende Nachfrage sowie ein funktionierendes Matching vorhanden sind.»
Wenn dieses Theoriemodell der Wirklichkeit entspräche, bräuchte es eigentlich gar keine Sozialwerke, weil demnach auch für einen ungelernten 59-jährigen ehemaligen Fabrikarbeiter mit Alkoholproblem und Krebs im Endstadium eine Arbeitsstelle existiert, wo er seine Fähigkeiten einbringen und ein existenzsicherndes Einkommen erzielen kann. Unter der Prämisse, dass jedes Individuum seine Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt existenzsichernd verkaufen kann, deklinieren die Autoren dann auch 1001 Varianten der These «Sozialleistungen hemmen die Arbeitsaufnahme und müssen deshalb gesenkt werden» durch.
Auf diese Kernaussage der Studie berief sich kürzlich auch der SVP-Politiker Peter Riebli, der im Baselbieter Landrat eine Kürzung der Sozialhilfe um 30 Prozent forderte und damit nicht nur Erfolg hatte, sondern schweizweit für Aufsehen – und vermutlich auch Inspiration – sorgte. Höhere Unterstützungsbeiträge sollen künftig nur noch jene Personen erhalten, die sich genügend «integrationswillig» zeigen. Da neben dem Integrationswillen vor allem auch Integrationsfähigkeit vorhanden sein muss, dürfte die Abgrenzung zwischen «nicht wollen« und «nicht können» – beispielsweise bei Sozialhilfebezügerinnen mit psychischen Problemen – in der Praxis einige Probleme mit sich bringen. Und die Betroffenen einer höheren Willkür aussetzen.
Laut den Verfassern der SECO-Studie stellen gesundheitliche Einschränkungen allerdings sowieso kein Integrationshindernis dar. Sie berufen sich dabei wiederholt auf eine weitere Ökonomin: Die HSG-Professorin Monika Bütler hatte in einer 2007 vom liberalen Think-Tank Avenir Suisse in Auftrag gegebenen Analyse zur Invalidenversicherung geschrieben, dass es sich finanziell zu sehr «lohne», krank oder behindert zu sein. Die einfachste Motivation, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, läge deshalb in der Senkung der staatlichen Transferleistungen.
Das Motto «gesünder und leistungsfähiger durch weniger Geld» fand das Parlament anno 2010 eine gute Idee. Es beschloss im Rahmen der 6. IV-Revision, bei IV-Bezügerinnen und -Bezügern mit unsichtbaren Erkrankungen wie Schmerzstörungen oder psychischen Krankheiten die Rentenberechtigung zu überprüfen beziehungsweise zu streichen. Die 16 000 Betroffenen sollten wieder ins Erwerbsleben integriert werden. Die meisten der überprüften IV-Bezügerinnen und -Bezüger stellten sich dann aber als so stark eingeschränkt heraus, dass statt der 16 000 nur einige hundert Versicherte (teil)eingegliedert werden konnten. Die restriktiveren Zugangsbedingungen zu einer IV-Rente haben ausserdem dazu geführt, dass mittlerweile zwei Drittel der Langzeitbeziehenden in der Sozialhilfe gesundheitliche Probleme haben, aber trotzdem als «zu gesund» für die IV gelten. Dass ihre Theorien den Praxistest nicht bestehen, interessiert die Ökonomen allerdings nicht. Und die Politiker, die sich auf die unrealistischen Studien berufen, natürlich auch nicht.
Das Publikationsorgan des SECO bebilderte den Artikel zur Studie über die «Arbeitsanreize in der sozialen Sicherheit» übrigens mit dem Symbolbild eines schlampig gekleideten Mannes, der vor dem Fernseher sitzt. Neben dem Text: die Porträtfotos der Autoren, adrett im Anzug, professionell in Szene gesetzt.