Ich würde sehr gerne mal Alice Schwarzer treffen. Für ein intergenerationelles Feminismusgespräch oder so. Wahrscheinlich wäre es mehr als das. Wir könnten auch darüber reden, wie es ist, sein Geld mit Schreiben zu verdienen. Was macht das mit einer auf längere Sicht? Und wie sie meinen neuen Lippenstift findet: Er hat eine ähnliche Farbe wie der, den sie auf manchen ihrer Pressefotos trägt.
Ich trage ihn eigentlich gerne, komme mir aber irgendwie doof vor, wenn es darum geht, ihn in der Öffentlichkeit aufzufrischen – da fühle ich mich plötzlich eitel. Und dann würde es um unsere unterschiedlichen Ansichten zu ihren neusten Veröffentlichungen gehen.
Ich lernte Alice Schwarzer über die vielen bösartigen Kommentare kennen, die in der Öffentlichkeit so herumschwirren. So wurde sie für mich nie zum Inspirationsanker. Allerdings waren für mich bisher viele Frauen wichtig, für die Schwarzer wiederum lange inspirierend war, weshalb ich dennoch so etwas wie Enttäuschung darüber verspüre, dass ich mit der heutigen Alice Schwarzer nichts anfangen kann.
Sie macht mich häufig wütend – das letzte Mal, als sie auf einem Plakat zur Lesung ihres neuen Buchs mit dem Titel «Meine algerische Familie» einlud. «Meine» algerische Familie? Welch paternalistisches Possessivpronomen, dafür dass es nur um ihre Beziehung zu einer langjährigen algerischen Bekannten und deren Familie geht! Ist das ihre Antwort auf die Rassismusvorwürfe, die ihr nach dem vorigen Buch über die Silvesternacht in Köln entgegenschlugen? «Guckt her, ich bin nicht rassistisch, ich habe eine algerische Familie!» Aber gut, ich möchte Alice Schwarzer ja eigentlich ein Gesprächsangebot machen. Trotzdem: Ich finde Schwarzers Islamfetisch widerlich. Und ich kann nicht anders, als ihr diesen als unfeministisch auszulegen. Die Mai/Juni-Ausgabe der Emma besteht zu 50 Prozent aus Stimmungsmache gegen muslimische Frauen und Männer. Feminismus, der nur Frauen zugutekommt, die aussehen und denken wie Alice Schwarzer, ist kein Feminismus. Wer Frauen gezielt blossstellt und nicht zu Wort kommen lässt sowie sich von rechter Hetze vereinnahmen lässt, ist keine Feministin. Schwarzer verbreitet vollkommen ohne Beweise, Frauen würden von islamistischen Organisationen bezahlt werden fürs Kopftuchtragen und dass es nur eine richtige, «objektive» Meinung zum Kopftuch gebe – nämlich dass dieses islamistisch und ein Zeichen der Überforderung mit der Emanzipation sei. Nicht zu vergessen: die regelmässigen Diffamierungskampagnen von Emma und Co. gegen junge Muslimas, wie zum Beispiel die deutsche Bloggerin Kübra Gümüsay. All das ist nicht sonderlich ladylike, Frau Schwarzer!
Mit meiner Enttäuschung über Alice Schwarzer verhält es sich nicht wie mit anderen grossen Persönlichkeiten,
von denen man im Nachhinein erfährt, dass sie trotz ihres Beitrags zur Geschichte offenbar Menschen mit schlechtem Charakter waren. Solange es um die Relativitätstheorie geht, ist es wohl relativ egal, ob Einstein seine erste Frau schlug. Bei Schwarzer hingegen schmälert ihr Verhalten ihre Errungenschaften und Kämpfe, weil ich nicht das Gefühl habe, dass sie auch für mich als muslimische, schwarze Frau spricht. Im Gegenteil, sie versucht noch, Muslimas und andere Frauengruppen wie zum Beispiel Sexarbeiterinnen und Queerfeministinnen, die selbst für sich sprechen wollen, zum Schweigen zu bringen. Was für ein Macho diese Frau doch ist.
Erschienen in Surprise 426/18