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Moumouni ...
... wünscht sich was

Ich habe einige Aktivist_innen in meinem Freundeskreis. Menschen, die sich für die verschiedensten Anliegen einsetzen und meist sehr viel Lebenszeit dafür aufwenden. Manche davon aus eigener Betroffenheit, andere aus religiösem oder sozialem Pflichtgefühl. Menschen, die sich ernsthaft dafür engagieren, dass diese Welt eine bessere wird, auch wenn das ein bisschen naiv klingt. Was sie allesamt vereint? Jeder und jede von ihnen hat mindestens einen Elternteil, der sich sorgt: «Wer hat dir denn ins Hirn geschissen? Such dir mal lieber einen anständigen Job, statt in Idomeni rumzuhängen, du machst dich ja kaputt!» Oder ein Familienmitglied, das den Idealismus aufs Alter zurückführt: «Hah! Wer mit 20 kein Sozialist ist, hat kein Herz, wer mit 50 immer noch einer ist, hat kein Hirn!» Eine Kollegin, die meint, es sei ein Argument, im Verhalten des Gegenübers Inkonsistenzen zu suchen: «Aber du bist doch auch schon mal geflogen, und das ist schlecht für die Umwelt!» Unzählige Gesprächspartner, die Hirngespinste unterstellen: «Haha! Fahrradfahrer und FahrradfahrerINNEN» – man kann’s auch übertreiben, das ist ja ein regelrechter Wahn!» Mindestens einen Kollegen, der findet, es gäbe Wichtigeres: «Du hast Probleme ... Als ob es keinen Rassismus gäbe, wenn ich jetzt nicht mehr Neger sage!» Eine Freundin, die steif und fest behauptet: «Ich kann gar kein Rassist sein, ich habe selbst schwarze Freunde!» und dabei nicht merkt, dass das ungefähr genau so dumm ist, wie zu sagen: «Ich bin kein Sexist. Ich hab selbst ‘ne Frau zuhause.» All diese Leute sind faul. Ich sage, alle Menschen, die sich nicht mit Rassismus, Sexismus, Feminismus, unserer Umwelt, der Armut und den unzähligen Problemen dieser Welt auseinandersetzen, sind faul und – zumindest hierzulande – meist privilegiert. Und nein, wenn nicht gerade das eigene Haustier im Sterben liegt, gibt es kaum Ausreden dafür, denn wichtig sind diese Dinge ja, das kann niemand leugnen. Ich sage nicht, dass wir nicht alle manchmal faul und privilegiert sein wollen und das vielleicht auch dürfen. Ich sage nicht, dass wir nicht alle diesen Affen in uns tragen, der findet, alles liesse sich damit erklären, dass die Welt eben so ist, wie sie ist, wir Menschen eben Triebe haben, von Jägern und Sammlerinnen abstammen und ausserdem «survival of the fittest» gelte. Aber damit machen wir es uns zu einfach. Über Gutmenschen lachen. «Political correctness» verteufeln. Ohne dabei die Umstände zu diskutieren, die diese beiden Phänomene bedingen: Sexismus und Rassismus zum Beispiel. Wir können froh sein um Leute, die Kraft und Elan haben, sich Gedanken zu machen über Probleme, die in unserer Gesellschaft tief verankert sind und tagtäglich Opfer fordern. Ich weiss natürlich auch, dass Aktivisten nervig sein können. Anstrengend. Das liegt wahrscheinlich an der Materie des Aktivismus. Aber der Status quo verschiedener nicht-privilegierter Lebensrealitäten ist für eine Menge Menschen ebenso anstrengend und nervig – nein, oft sogar unerträglich. Meine Aktivistenfreund_innen sehen allesamt müde aus. 2016 hat ihnen einige Gründe dafür geliefert. Ich mache mir manchmal Sorgen um sie. Eine Freundin von mir benutzte den Begriff «activist burnout». Das überwältigende Gefühl von Verbissenheit, Verzweiflung, Machtlosigkeit, Verletzlichkeit, das Gefühl, einem Zustand ausgeliefert zu sein, die Unausweichlichkeit des Problems – und die ignoranten Mitmenschen. Das raubt Kraft. Deshalb wünsche ich uns allen viel Energie für dieses Jahr. Ich wünsche uns Empathie und das Vermögen zuzuhören. Geduld. Und Schutz vor Gewalt, struktureller wie physischer. Und Mut. Für all uns Feige und Faule.

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