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Soziale Stadtrundgänge

Entschieden authentisch

«Soziale Stadtrundgänge» wird all den Angeboten und Initiativen, die bei uns unter diesem Begriff zusammenlaufen, schon lange nicht mehr gerecht. Auch 2024 hat Surprise in diesem Bereich zahllose Aktivitäten zur Aufklärung, Vernetzung und Unterstützung im Bereich Armut in der Schweiz gebündelt. Was sie verbindet, ist, dass sie Betroffene zu Wort kommen lassen und diese aktiv einbinden. Durch diese Unmittelbarkeit hilft unsere Arbeit massgeblich mit, gegen Armut und soziale Ausgrenzung vorzugehen. Als willkommener Nebeneffekt löste die Authentizität erneut ein hohes Medieninteresse aus und wir konnten so eine breite Öffentlichkeit für diese Themen sensibilisieren.

Langfristige Investition

Leider sind in der Schweiz die Forschung und Lehre und damit auch die berufliche Arbeit im sozialen Bereich noch sehr häufig von theoretischen Konzepten und abstrakten Debatten geprägt. Um Betroffene wirksam und auf Augenhöhe zu unterstützen, ist es aber unverzichtbar, deren Bedürfnisse und Erfahrungen direkt und unverfälscht einzubringen. Auf diesen auch als «Peer-Involvement» bekannten Ansatz haben wir im letzten Jahr einen besonderen Fokus gelegt und intensiv mit verschiedenen entsprechenden Projekten und Einrichtungen zusammengearbeitet. Die Wirkung dieses Engagements ist kurzfristig schwierig messbar, aber für die langfristige Entwicklung der sozialwissenschaftlichen Forschung und Anwendung enorm wichtig.

Konkret waren wir neben zahllosen Interviews, die wir für Fach- und Abschlussarbeiten gaben, an einer Studie über Digitalisierung und Armut beteiligt, und unsere Stadtführer*innen tauschten sich an mehreren Lehrveranstaltungen der Berner Fachhochschule (BFH), der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) sowie der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) mit Student*innen aus. Mit der Pädagogischen Hochschule Zürich ist eine Kooperation zur Organisation eines Symposiums entstanden; mit dem bekannten Sozialwissenschaftler Matthias Drilling arbeiteten wir eng für die Publikation des viel beachteten Buchs «Obdachlosigkeit – Warum sie mit uns allen zu tun hat» zusammen. Ausserdem begleiteten wir Student*innen der FHNW zum Neunerhaus nach Wien, das als internationales Vorbild in dem Bereich bekannt ist, um uns über sozial-innovative Peer-Angebote und Ausbildungen für ehemals obdachlose Personen auszutauschen.

Surprise-Stadtführer André Hebeisen diskutiert an der Ausstellungseröffnung im Kornhausforum Bern mit Kuratorin Rebecka Domig (links) und Surprise-Redakteurin und Moderatorin Sara Winter

Ausgestellte Armut

Spannend war im letzten Jahr auch, dass verschiedene kulturelle Einrichtungen die Zusammenarbeit mit uns suchten. In Zürich teilte einer unserer Stadtführer seine Erfahrungen an einem Podiumsgespräch anlässlich einer Ausstellung über Obdachlosigkeit im Helmhaus; in der Galerie kunstsichtbar war er Teil einer Gesprächsrunde über die Herberge zur Heimat. Und in Bern arbeiteten wir mit dem Generationenhaus im Rahmen einer Ausstellung über Erfolg zusammen und organisierten im Kornhausforum eine äusserst erfolgreiche Ausstellung über Strassenzeitungen mit (mehr dazu im Jahresrückblick der Redaktion). So war es uns auch in der Kulturlandschaft möglich, Betroffene von Armut und Ausgrenzung selbst zu Wort kommen zu lassen.

Ausbau der erfolgreichen Basis

Neben all diesen Engagements waren unsere Sozialen Stadtrundgänge natürlich auch 2024 der Kern des Projekts. Wir freuen uns und sind stolz, dass wir mit 15’686 Teilnehmer*innen auf 1’036 Touren eine neue Rekordzahl an Menschen für Themen wie Armut, Obdachlosigkeit, Gewalt, Ausgrenzung und psychische Gesundheit sensibilisieren konnten. Besonders erfreulich war der erfolgreiche Start der neuen Tour «Wurzeln schlagen» von Nicolas Gabriel im Juni mit einem grossen Medienecho. Eine willkommene Ergänzung für das Zürcher Team, da wir Hans Rhyner nach acht Jahren engagierter Tätigkeit als Stadtführer im September gebührend in den wohlverdienten Touren-Ruhestand verabschiedet haben.

Auch unsere bestehenden Touren entwickelten wir laufend weiter. Besonders intensiv arbeiteten wir im letzten Jahr in Basel an der Weiterentwicklung der Touren: Alle Touren, Texte und Abläufe wurden individuell aktualisiert und überarbeitet. Das Ziel der Anpassungen war, den Gruppen am Ende der Touren mehr Raum für einen aktiven Dialog und persönliche Fragen zu geben, sowie der weitere Austausch mit verschiedenen sozialen Institutionen, die auf den Touren vorgestellt werden. Auch in Zürich und Bern wurden bestehende Touren weiterentwickelt, Ausbildungsverträge für neue Stadtführer*innen abgeschlossen und ihre Rundgänge vorbereitet (z. B. von Dodo, die im März 2025 in Zürich gestartet ist).

Stadtführer Nicolas Gabriel erzählt den Besucher*innen seiner neuen Tour aus seinem von psychischer Krankheit und Obdachlosigkeit geprägten Leben

Blick hinter die Kulissen der SRF «Club»-Aufzeichnung

Sichtbarkeit für Verdrängte

Ein weiterer Höhepunkt des vergangenen Jahres war das erwähnte grosse Medieninteresse an den Stadtführer*innen, ihren Geschichten und ihrem Fachwissen. Rund drei Dutzend Auftritte hatten wir in der Presse – so viele wie seit 2019 nicht mehr, als wir mit der Lancierung der Berner Rundgänge einen Medienrummel ausgelöst hatten. Unter anderem waren gleich mehrere unserer Stadtführer*innen Teil einer Spezialausgabe des Magazins über Armut. Radio Energy führte ebenfalls in einem Spezialformat zum Thema Obdachlosigkeit mehrere Interviews mit uns in Basel, Zürich und Bern, zwei unserer Stadtführer teilten ihre Erfahrungen in einem «Club über Armut». Und ihren bewegten Geschichten und starken Persönlichkeiten wurde in verschiedenen Porträts Rechnung getragen, etwa im «Tages-Anzeiger», bei «SRF Focus» oder in der «Basler Zeitung».

Gemeinsam durch Krisen

Angesichts dieses beeindruckenden Engagements darf nicht vergessen werden, dass sich unsere Stadtführer*innen weiterhin in prekären Lebenssituationen befinden. Sie sind von Armut betroffen, viele haben Probleme mit der körperlichen oder psychischen Gesundheit. Unsere Angebotsleitungen leisteten deshalb auch im vergangenen Jahr viel intensive Sozialbegleitung, um sie bei der Bewältigung schwieriger Situationen und persönlicher Krisen zu begleiten. Aber auch gegenseitig unterstützen sich die Stadtführer*innen, was sich im letzten Jahr besonders zeigte, als das Team in Basel bei einem mehrmonatigen gesundheitsbedingten Ausfall so beherzt aushalf, dass kaum Touren abgesagt werden mussten.

Die Jüngsten erreichen

Es ist uns ein Anliegen, dass auch junge Menschen die Lebenswelten von Armutsbetroffenen, Obdachlosen oder Suchtkranken kennenlernen – aber natürlich auf eine angemessene Weise, weshalb die regulären Touren dafür nicht geeignet sind. Deswegen haben wir 2022 das Projekt «Surprise macht Schule» lanciert, bei dem Stadtführer*innen Schulklassen besuchen und mit ihnen die schwierigen Themen in halbtägigen Workshops erarbeiten. Das Interesse an diesem Angebot war 2024 ungebrochen hoch, und mit 1’049 teilnehmenden Schüler*innen konnten wir auch hier ein neues Rekordpublikum erreichen. Das war unter anderem nur möglich, weil wir das Format auf Bern ausweiten konnten, wo neu Roger Meier als erfahrener Stadtführer die Schulworkshops anbot.

Roger Meier arbeitet für «Surprise macht Schule» in Bern gemeinsam mit Schüler*innen an Themen wie Armut, Obdachlosigkeit und Sucht

Zahlen und Fakten

  • 1’036 Soziale Stadtrundgänge für insgesamt 15’686 Besucher*innen konnten wir durchführen – Rekord!

  • 35 Mal haben die Medien über das Projekt berichtet, siehe dazu auch unsere Medienberichte.

  • Ihr zehnjähriges Jubiläum bei den Sozialen Stadtrundgängen feierten sowohl der Stadtführer Hans Peter Meier als auch die Angebotsleiterin Carmen Berchtold in Zürich.