Strassenmagazin

#555 Dichten und Denken (Literaturausgabe)

Dichten und Denken

Bei mir um die Ecke befindet sich ein Lokal, an dem steht: «Egal, wie dicht du bist, Goethe war Dichter» – natürlich
alles in Grossbuchstaben, damit das Wortspiel etwas besser funktioniert. Ich finde das sehr lustig.

Der Spruch kam mir wieder in den Sinn, als ich Giuliano Musios Ankündigung im Maileingang hatte, er würde unser Heftthema «Dichten und Denken» gerne als «Abdichten und Ausdenken» interpretieren. Genau dieses Ausloten der Sprache und ihrer Möglichkeiten haben

wir uns gewünscht. Und so haben wir Kim de l’Horizons Grossmeere im Heft und Lubna Abou Kheirs kindliches Ich, das zwischen Alltag und Metaphysik hin- und herschaukelt. Wir haben Jafar Saels markante lyrische Sätze, die Sprache und Leben ganz eng zusammendenken – zum Beispiel, wenn er schreibt: «Das Leben

ist ein Fehler, weil wir es falsch lesen.» Hamed Abboud geht dem Briefeschreiben

und damit einer scheinbar so vertrauten Praxis nach, nimmt aber ihre biografische, kulturelle, soziologische und politische Dimension wie nebenher und doch sehr treffend auch noch mit.