Strassenmagazin

#556 Richten und Henken

Richten und Henken

Ich habe schon viele Texte gelesen, denen ein Zitat vorangestellt ist. Aber ich kann mich nicht erinnern, an der entsprechenden Stelle jemals einen Yogi-Tea-Spruch gelesen zu haben.

Dass Dmitrij Gawrisch genau einen solchen be- müht, wirkt im besten Sinn grotesk und setzt be- reits den ganz eigenen Ton seiner Geschichte. Seine Hauptfigur wird sich denn auch tatsächlich am eingangs zitierten inneren Frieden abarbeiten.

«Richten und Henken» ist das Thema dieses Hefts. Und man sieht: Es wird nicht nur da draussen in der Welt gerichtet und gehenkt, sondern genauso im Inneren. Mäandrierend erzählt auch Joël László von eigenen Obsessionen, die auf einem Spaziergang zu bröckeln beginnen – oder kurzerhand weggelutscht werden.

Dichten und Denken, Richten und Henken – das sind Begriffe, die für uns mit der Frage verbunden sind, wer die Macht hat, wer das Sagen. Oder auch: Wer hat die Kraft, die Welt zu verändern? Die, die dichten? Die, die richten? Es ist ein Heft voller spielerischer Zugänge geworden zu einem düsteren Thema. Natürlich sind da auch ernsthaftere Töne, dafür wunderbar filigran gebaut. Gerade in der lyrischen Form bei Azizullah Ima.

Bei Simon Chen zeigt sich, dass die formalen Umstände Menschen fast eher zum feindlichen Gegenüber machen als die Streitsache an
sich. Auch die Arbeitswelt ist ein Spiegelbild menschlichen Machtgebarens, wie es Dominic Oppliger sehr anschaulich macht.