#574 Wir sind viele
Dieses Heft ist mehr als ein Magazin – es ist viele. Anlässlich der Ausstellung im Kornhausforum in Bern, in der gezeigt wird, «wie Strassenzeitungen Leben verändern», möchten wir Ihnen in dieser Ausgabe einen Eindruck davon geben, wie sie denn aussehen und worüber sie schreiben: die anderen Strassenmagazine aus dem International Network of Street Papers INSP, dem auch Surprise angehört. 16 Extraseiten haben wir uns dafür gegönnt, auf denen wir Ihnen zum selben Preis wie immer zeigen möchten, wie vielfältig wir sind.
Um sich dieses Heft zu erschliessen, müssen Sie die Ausstellung nicht besucht haben. Es wird sie auch nicht vorwegnehmen. Alles, was Sie brauchen, ist ein wenig Neugier auf die Idee der Strassenzeitungen. Sie steht hinter dem Schweizer Surprise, das Teil einer weltweiten, 30jährigen sozialen Bewegung gegen Armut ist. Sie steht auch hinter Kanadas L’Itinéraire, dem britischen The Big Issue, dem griechischen Shedia, Mexikos Mi Valedor und hinter The Big Issue Taiwan. Heft und Ausstellung möchten Ihnen nahebringen, was uns alle verbindet.
Zum Beispiel die Idee, dass alle rund 90 Projekte ein redaktionell unabhängiges Printmagazin produzieren, deren Erlös zu einem beachtlichen Teil (bei den meisten zu 50 Prozent) den Verkäufer*innen zugute kommt. Und dass wir einander keine Konkurrenz machen. Aber auch, dass wir einen hochwertigen Journalismus anstreben, der sich an den in der Branche üblichen ethischen Standards orientiert.
Manche werden auf Zeitungspapier gedruckt und sehen auch aus wie eine Zeitung, andere kommen in Hochglanz daher. Manche prangern soziale Missstände an, andere wollen lieber unterhalten. Gemeinsam ist uns, dass Armutsbetroffene über den Verkauf eines Strassenmagazins eine Chance auf ein Einkommen, aber auch auf gesellschaftliche Sichtbarkeit und Begegnungen haben.
Welche Menschen es sind, die sich für den Strassenverkauf entscheiden, ist in jedem lokalen Kontext etwas anders. Auch sind die Mechanismen, die Menschen aus einer Gesellschaft ausschliessen, zwar oft ähnlich, in ihrer konkreten Ausgestaltung – der Sozialgesetzgebung beispielsweise – aber wiederum nur schwer vergleichbar.
Womit man den Verkäufer*innen am besten helfen kann, wird in der Strassenzeitungswelt intensiv diskutiert. Ob online oder an Kongressen – das gemeinsame Lernen war von Anfang an Teil der Bewegung. Auch ist sehr unterschiedlich, wie eng die Verkäufer*innen ins Zeitungsmachen eingebunden sind. Surprise beispielsweise hat eine regelmässige Verkäufer*innen-Kolumne. Und die Inspiration für neue Themen kommt sowieso meist von dort, wo unsere Verkäufer*innen stehen – auf der Strasse.