#594 Wohnen tut Not
Etwas Widerständiges
Irgendwann sagte ich während der Arbeit an dieser Ausgabe: Das wird ein ziemlich widerständiges Heft. Ich meine nicht einmal die Themen selber, die hier vor- kommen. Sondern kleine Dinge, die wie nebenbei in den Texten stecken. In Nebensätzen, in Gedanken am Rande.
Es fiel mir schon in unserer schmalen Rubrik «Na? Gut!» auf, in der wir positive Entwicklungen aufgreifen. Der Kanton Jura senkt die Hürden, damit Menschen ihre Sozialhilfegelder tatsächlich beantragen, die ihnen in Notlagen per Gesetz zustehen. Dass ein Kanton sich hier aktiv engagiert, hat etwas Widerständi- ges in einem gesellschaftlichen Klima, in dem Armut oft als selbstverschuldet dargestellt wird.
Etwas im Grunde Widerständiges erfuhr auch der Surprise Stadtführer Tito Ries in der Art, wie er zu einer Wohnung kam – obwohl er verschuldet war, obwohl er im Gefängnis war, obwohl er keine bezahlte
Arbeit hatte. Er bekam den Zuschlag, weil ihm ein Vermieter zuhörte und sich dafür entschied, ihn dabei zu unterstützen, auf einen guten Weg zu kommen.
Und dann begegnete mir ein widerständiges Moment auch in unserer neuen Serie «Hinter Mauern» über die Geschichte zweier Freundinnen, die im Mädchenhaus Schutz suchten. Und zwar, als Estella sich selber eingesteht, dass es «nicht normal» ist, Gewalt zu erleben. Dass sie es in Worte fasst und ein Umfeld findet, das ihre Wahrnehmung bestätigt – daraus entsteht auch der Mut zu handeln. Was mir an all diesen Formen des Widerständigen so gefällt: Es sind keine erbitterten Kämpfe, die da ausgefochten werden.
Es ist einfach die Entscheidung, für die Menschlichkeit einzustehen.