Stadtführungen stehen meistens für Sightseeing und Tourismus. Unsere «Expert*innen der Strasse» machen daraus gesellschaftliche Bildungsarbeit – und das schon seit zehn Jahren. Das feiern wir: Mit unserem brandneuen Jubiläumsfilm und einer spannenden Chronologie (auch im Heft 561).
Wir sind stolz und dankbar, für unsere 13 Stadtführer*innen mit aktuell 20 Touren, für rund 60 Organisationen mit denen wir zusammenarbeiten, und für fast 130’000 Besucher*innen, die wir bisher erreicht und für die Hintergründe von Armut und die gesellschaftlichen Folgen sensibilisiert haben.
Herzlichen Dank für Ihre Unterstützung während einer Dekade!
Unser Jubiläumsfilm
Die Stadtführer*innen Heiko Schmitz und Lilian Senn sind (fast) seit Beginn dabei. Im Video erzählen sie über ihr Leben auf der Strasse. Über die harte Arbeit an sich selbst. Und darüber, wie die Stadtrundgänge ihr Leben verändert haben. Und Sybille Roter, Begründerin und Leiterin der Sozialen Stadtrundgänge in Basel, gibt einen Einblick in den Hintergrund der Touren.
Wie unsere Touren zur Erfolgsgeschichte wurden
2013: Stimmen der Armut erstmals in der Schweiz
Die vielen Verkäufer*innen des Surprise- Magazins waren bereits bekannt als Gesichter der Armut – neu sollten betroffene Personen auch zur Stimme der Armut werden. Nach intensiver Recherche und Planung starten im April 2013 die ersten Sozialen Stadtrundgänge der Schweiz mit drei Stadtführern in Basel. Erstmals stehen Betroffene als Experten für Armut und Ausgrenzung im Zentrum und geben den Besucher*innen einen haut- nahen Einblick in ihre Lebensrealitäten – gemeinsam besuchen sie die Gassenküche, das Tageshaus für Obdachlose oder die private Notschlafstelle am Bahnhof.
2014: Grossartiger Start in Zürich
Mit gleich sechs Stadtführer*innen und sieben neuen Touren startet das Sozialangebot in Zürich. Während ihrer rund einjährigen Ausbildung entwickelten die neuen «Expert*innen der Strasse» gemeinsam mit den Angebotsleitungen ihre persönlichen Tour-Texte und die Routen der Stadtführungen – immer entlang der indivi- duellen Lebensgeschichte. Dadurch ist jeder Rundgang authentisch und setzt unterschiedliche thematische Schwerpunkte.
2018: Start in Bern und erste Frauenarmuts-Touren
Drei Stadtführer und eine Stadtführerin starten 2018 mit vier ver- schiedenen Touren in Bern. Bereits ein Jahr zuvor gelang es nach intensiver Suche, mit Lilian Senn die erste Frau als Stadtführerin in Basel auszubilden. 2018 folgen mit Danica Graf ebenfalls in Basel, Sandra Brühlmann in Zürich und Franziska Lüthi in Bern drei weitere Frauen, die bis heute auf ihren Touren zeigen, wie sie in Not gera- ten sind. Sie informieren darüber, was es bedeutet, als Frau schutz- los auf der Gasse zu leben, und warum obdachlose Frauen auf der Strasse in der Minderheit sind, warum sie ihre prekäre Lebens- situation verstecken und warum deutlich mehr Frauen als Männer in der Schweiz Armut erleben.
2021: Über Schuldenspiralen
Nach einem Workshop mit der Fachhochschule Nordwestschweiz zum Thema Schulden lanciert Surprise 2021 den neuen Rundgang «Wege aus der Schuldenspirale». Der Stadtführer Tito Ries erzählt seither auf der Basler Stadtführung von seinem Weg vom Unternehmer zum Obdachlosen. Er schildert, wie schnell er durch einen Firmenkonkurs und persönliche Schicksalsschläge alkohol- süchtig wurde und in der Armut landete. Zudem erfahren die Besucher*innen, wie schwierig es in der Schweiz ist, der Schuldenfalle zu entkommen.
2022: Psychische Erkrankung und Armut
Nach einer zweijährigen Vorbereitung startet in Bern Kathy Messerli mit der ersten Tour zum Thema «Gewalt, psychische Erkrankung und Armut». Der neue Stadtrundgang thematisiert ein Tabuthema: psychisch, körperlich und sexuell erlebte Gewalt. Messerli infor- miert darüber, wie Traumata zu psychischen Erkrankungen und Armut führen können – und was ihr half, wieder aufzustehen. Ihr Weg in die Armut ist geprägt von Einweisungen in Psychiatrien, Berufs- abbrüchen, chronischen Schmerzen und Drogenkonsum. Mit der Aus- bildung zur Stadtführerin schaffte sie ihren ersten Abschluss.
2024: Armutsrisiko Migration
Nach über einem Jahr Vorbereitung startet Anfang nächstes Jahr in Basel die erste Tour von Lucy Oyubo, einer Pädagogin aus Kenia. Vor fast 20 Jahren gründete sie erfolgreich eine Sprachschule und absolvierte in der Schweiz mehrere Weiterbildungen. Jahrelang läuft alles bestens, bis sie nach einem Unfall und einer Operation die Krankenkosten nicht bezahlen kann und in eine Schulden- spirale gerät. Auf ihrer Tour wird sie darüber erzählen, dass Mig- rant*innen in der Schweiz ein überdurchschnittliches Armutsrisiko haben und viele Hürden bei der Integration erleben – und infor- miert darüber, wie sich Racial Profiling im Alltag anfühlt und warum sie sich gegen Rassismus engagiert.
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