«DAS LEBEN IST DOCH SCHÖN»
«Ich singe seit eineinhalb Jahren im Surprise Strassenchor. Zu meinen Lieblingsliedern gehört «Don’t worry, be happy» von Bobby McFerrin. Darin heisst es, dass man immer gut gelaunt sein kann, auch wenn alles schiefgeht. Das passt zu meinem Leben, denn ich habe schon viele Höhen und Tiefen erlebt.
Seit dreissig Jahren habe ich eine bipolare Störung, ich bin manisch-depressiv. Es gibt Zeiten, da bin ich fröhlich und euphorisch, das sind die manischen Phasen. Dann aber erlebe ich auch depressive Zeiten, in denen ich mich wie an einem Abgrund fühle. In solchen Momenten versuche ich mich daran zu erinnern, dass das Leben doch eigentlich schön ist: Don’t worry!
Meine psychische Erkrankung hat begonnen, als ich noch in Hamburg lebte und mit 28 Jahren an der Fachhochschule kurz vor meiner Diplomprüfung zum Bibliothekar stand. Damals war ich überfordert. Ich hatte eine dominante Freundin, die mich unbedingt heiraten wollte, weil sie bald 30 wurde. Dazu kam die Diplomprüfung, und kurz zuvor war mein Vater verstorben. Das war mir alles zu viel.
In den manischen Phasen, die einen Monat dauern können, bin ich aufgestellt, unternehmungslustig und sehr kreativ. Ich arbeite in der Kreativwerkstatt des Bürgerspitals in Basel, wo ich oft male. In diesen manischen Phasen habe ich viele Ideen und kann sie auch umsetzen. Die Kehrseite ist, dass ich dann einfach draufloslebe. Ich gebe mein Geld für alles Mögliche und Unmögliche aus, und es gibt Nächte, die ich durchmache. Ich komme dann gar nicht auf die Idee, dass es mir gut tun würde zu schlafen. Ist die Phase vorbei, macht sich der Schlafmangel bemerkbar. Und die Kreativität und all die positiven Aspekte, die ich während der manischen Phase erlebe, fehlen mir im Nachhinein.
In depressiven Zeiten habe ich immer wieder Suizidgedanken. Aber ich weiss, es gibt viele liebe Leute um mich herum, die sehr traurig wären, wenn ich nicht mehr da wäre. Es könnte ja auch sein, dass ein Suizidversuch nicht gelingt. Dann wäre ich vielleicht querschnittsgelähmt und noch schlimmer dran als zuvor. Ausserdem bin ich ein gläubiger Mensch. Ich bin überzeugt, dass Gott mich so gemacht hat, wie ich bin, und dass er mich lieb hat, wie ich bin. Das gibt mir Halt.
Im Allgemeinen bin ich zufrieden mit meiner Stimmung, solange ich Medikamente nehme. Etwas traurig bin ich nur darüber, dass ich nicht mehr so gute Freundschaften habe wie früher. Vor zehn Jahren war das noch anders. Dann aber starb einer meiner Freunde, weil er zu viel trank und zu ungesund lebte. Eine Freundin von mir nahm sich das Leben, weil sie ständig starke Schmerzen hatte, und eine andere brach den Kontakt zu mir ab, weil sie es nicht ertragen konnte, dass ich immer mal wieder in die Klinik muss.
Ich brauche Kontakte und Freundschaften sehr. Deshalb ist der Surprise Strassenchor für mich ein Halt. Im vergangenen Herbst ging es mir psychisch nicht gut, und ich musste wieder in eine Klinik. Trotzdem ging ich weiterhin in den Chor. Ich war sehr ängstlich und habe mich zu dem Zeitpunkt nicht getraut, alleine unterwegs zu sein. Aber es kam immer jemand vom Chor, um mich zu begleiten. Da habe ich den Zusammenhalt und die familiäre Atmosphäre erlebt. Das hat mir gut getan und mir sehr geholfen.»