Ignoriertes Potenzial

Der Bildungsstand von geflüchteten Menschen wird in der Schweiz nirgends erfasst. Dabei bringen die meisten von ihnen Know-how mit, welches das Land dringend brauchen könnte.

04.04.2024TEXT: HANNA FRÖHLICH, ILLUSTRATIONEN: ANWAR

Das ehemalige Kurhotel und Restaurant «Gurnigelbad» liegt auf dem Gurnigel, einem Hügelzug am Nordrand der Freiburger Alpen im Berner Rüti. Es ist ein hölzernes altes Haus, das eher an eine Herberge für Wanderer als an ein Hotel erinnert. Seit gut einem Jahr dient es als Asylunterkunft. Der Zweck: geflüchtete Personen unterzubringen, solange sie auf einen Bescheid warten, der über ihre Zukunft entscheidet.

Birhane Tadesse, ein ruhiger Mann Mitte dreissig mit wachen Augen und breitem Lachen, wohnt seit einem Jahr hier. Zuhause in Äthiopien hat er als Feuerwehrmann am Flughafen gearbeitet. Auch hier in der Nähe, in Belp, gibt es einen kleinen Flughafen. Er war schon dort, hat nach Arbeit gefragt. Man hat ihm die Technik gezeigt und ihm alles erklärt. Die Arbeit ist die gleiche wie zuhause.

Birhane Tadesse, der eigentlich anders heisst und wie alle Menschen im Asylprozess hier anonymisiert auftritt, spricht gerne über seinen ehemaligen Beruf, nur hat ihn bis jetzt niemand danach gefragt. Der Bildungsstand von geflüchteten Menschen wird in der Schweiz nirgends erhoben. Während Tadesse wartet, ist er nur eines: ein Asylbewerber. Seine Ausbildung, seine Berufserfahrung, sein Potenzial für den Schweizer Arbeitsmarkt spielen keine Rolle.

Einen Tag in der Woche kann Tadesse die Asylunterkunft verlassen, um als freiwilliger Helfer auf einem Friedhof zu gärtnern. Mehr ist nicht möglich, obwohl er gerne öfter aushelfen würde. «Rausgehen, um zu arbeiten, befreit den Geist, schafft Sinn», sagt Tadesse. «Die Atmosphäre in der Asylunterkunft ist aufgeladen und depressiv, den Leuten geht es nicht gut, sie alle haben ihre Probleme, ihre individuellen Fluchtgeschichten, Heimweh.»

Rauszukommen sei schwierig, die Asylunterkunft liegt oben auf dem Berg, der letzte Bus vom Dorf aus fährt um 19 Uhr, danach erreicht man die Unterkunft nur noch zu Fuss von Riggisberg aus. Elf Kilometer läuft einer der Bewohner jeden Abend nach oben, um trotzdem das Boxtraining in Bern besuchen zu können. In der Türkei, dem ersten Fluchtland nach Afghanistan, hat er sein Geld als professioneller Boxer verdient.

Zweimal die Woche kommt eine Handvoll ältere Damen in die Unterkunft, um Deutsch zu unterrichten. «Im Vordergrund steht die Beschäftigung der Geflüchteten», sagt Katharina Müller, eine der Freiwilligen. Die Frauen sind pensioniert und engagieren sich in ihrer Freizeit für die Leute. Neben den Angestellten des SRK, das die Asylunterkunft führt, sind sie ihre einzigen Ansprechpersonen, der einzige Kontakt nach draussen.

Fokus auf Herausforderungen

In den Kursen ist die Stimmung gut, die Leute scherzen und helfen einander, wenn der Wortschatz einer Person mal nicht ausreicht, um einen Satz zu formulieren. Heute üben sie Bewerbungsgespräche. Sie alle wären bereit zu arbeiten. Den meisten ist bewusst, dass sie nicht mehr das Gleiche tun können wie zuhause – vorerst jedenfalls, da das Deutsch noch nicht gut genug ist oder das Zertifikat nicht anerkannt wird. Beides zählt zu den grössten Herausforderungen zur Arbeitsmarktintegration, wie Jonas Lehner vom Schweizerischen Arbeitergeberverband bestätigt: «Das Beherrschen einer Landessprache ist nach wie vor in vielen Branchen eine wichtige Voraussetzung für eine Anstellung und für die professionelle Ausübung des Berufs. Eine weitere Herausforderung ist die Vergleichbarkeit von Diplomen und Abschlüssen. Bildungssysteme und Berufsabschlüsse variieren von Land zu Land erheblich.»

«Ich war Mitglied des afghanischen Parlaments, bevor die Taliban an die Macht kamen, in der Türkei habe ich als Lehrer und als Bauleiter gearbeitet», berichtet ein Mann in Farsi. «In der Schweiz kann ich als Koch arbeiten, auch als Lehrer wenn möglich, oder als Bauleiter.» Ein früherer Decathlon-Angestellter kann sich vorstellen, im Restaurant zu arbeiten, der erfahrene Arzt als Pfleger im Krankenhaus, der ehemalige Journalist in der IT. In all diesen Sektoren gibt es in der Schweiz Bedarf. Laut Bundesamt der Statistik (BfS) gab es Ende letzten Jahres 4850 freie Stellen in der IT. Unbesetzte Stellen im Gesundheitswesen gibt es 17 559 in der Schweiz. Und der Gastronomieverband beklagt, er finde seit Covid keine Servicekräfte mehr, derzeit sind gemäss BfS 7728 Stellen frei.

Die Konjunkturforschungsstelle der ETH (KOF) konkretisiert den Mangel an Arbeitskräften in folgenden Bereichen: im Gesundheitswesen (z.B. bei der Pflege und bei Ärzt*innen, in der Psychiatrie und bei medizintechnischem Fachpersonal), in technischen Berufen der Industrie und auf dem Bau (z.B. Zimmerleute, Sanitärfachpersonen, Heizungsinstallateur*innen sowie Bauingeneur*innen), im IT-Bereich (z.B. Softwareingenieur*innen), im Verkehrswesen (etwa Bus-Chauffeur*innen und Lokomotivführer*innen), im Bildungswesen (z.B. Lehrer*innen und Kinderbetreuende) oder auch in gewissen Berufen des Gastgewerbes (z.B. Köch*innen).

Arbeiten wollen, aber nicht dürfen

An Potenzial, diese Stellen zu besetzen, mangelt es nicht. Unsere Befragung von 79 Migrant*innen mithilfe der digitalen Plattform CrowdNewsroom in 12 verschiedenen Sprachen zeigt: Menschen im Asylverfahren könnten und möchten die Arbeit leisten, die in der Schweiz so dringend übernommen werden müsste.

Viele der von uns befragten Personen geben an, in der IT arbeiten zu wollen, diverse als Busfahrer*innen oder Fahrer*innen von schweren Maschinen, auch auf dem Bau, auch Köch*innen gibt es einige. Diverse haben Erfahrungen als Logistiker*innen, ferner als Sanitärpersonal, im Handwerk, im IT-Bereich; viele geben an, in der Pflege arbeiten zu wollen. Diese Berufe decken sich mit den vom KOF beschriebenen.

Doch so gern die Bewohner*innen von Gurnigelbad auch arbeiten wollen, so sehr der Markt Arbeitskräfte benötigt: Sie dürfen nicht. Denn dafür bräuchten sie eine Aufenthaltsbewilligung. Ein Jahr wartet Birhane Tadesse nun schon auf einen Bescheid: Auf eine B-Bewilligung (für eine Übersicht der Aufenthaltsbewilligungen siehe Seite 13) oder eine der Kategorie F, die es ihm ermöglichen würde, eine Stelle zu suchen, von der Asylunterkunft wegzukommen, eine eigene Wohnung zu finden, Menschen kennenzulernen, sich zu integrieren, einen weiterführenden Deutschkurs besuchen zu können und ein neues Leben zu beginnen. Interessieren sich die Behörden nicht dafür, was ein Bewerber wie Birhane Tadesse zur Eidgenossenschaft beitragen könnte? Beim Staatssekretariat für Migration (SEM) heisst es dazu: «Bei der Behandlung und dem Entscheid über ein Asylgesuch ist der Bildungsstand der Gesuchstellenden nicht von Belang.»

Nur bei Ukrainer*innen sieht die Situation anders aus. Hier hat man bereits Daten erhoben, wenn auch unvollständig. Begründet wird dies vom SEM mit dem ihnen gewährten Schutzstatus S, der eine Arbeitserlaubnis enthält. Hier seien in Rahmen eines Pilotprojekts Qualifikationen erhoben worden. «Das ist bei anderen Geflüchteten im ordentlichen Asylverfahren bisher noch nicht der Fall. Wir prüfen aber derzeit, wie sich neue Erhebungsmethoden im SEM ermöglichen lassen. Die Kantone führen Potenzialabklärungen durch, wo u.a. Qualifikationen erhoben werden», sagt Regula Mader, Vizepräsidentin des SEM. Bei Asylsozialhilfeabhängigen Personen komme seit 2019 zudem eine Integrationsagenda zum Zuge: «Das Ziel ist, dass diese Personen unterstützt werden, damit sie Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu Bildung finden.»

 

Berufliche Perspektiven bitten

SP-Nationalrätin Sandra Locher Benguerel wünscht sich mehr als das. Sie hat einen Vorstoss eingereicht, der die Erhebung des Bildungsstands von Schutzsuchenden fordert. Das liegt im Interesse der Schweiz, wie sie betont. «Das Erfassen der Kompetenzen und Bildungspotenziale von Geflüchteten in der Schweiz würde helfen, den bildungspolitischen Handlungsbedarf abzulesen, gezielt steuern zu können und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken», sagt Benguerel. Denn es sei sowohl für die geflüchteten Menschen als auch für die Schweiz von grundlegender Bedeutung, den Neuankommenden und insbesondere denjenigen, die zu einem langfristigen Exil gezwungen sind, berufliche Perspektiven zu bieten, damit sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten und sich in die Gesellschaft integrieren könnten. Der Nationalrat teilt Benguerels Meinung und hat den Vorstoss angenommen. Der Bundesrat hingegen hat die Ablehnung beantragt. Den obligatorischen Bericht dazu hat er noch nicht veröffentlicht.

79 Personen haben uns in einer ersten Recherche über ihren beruflichen Hintergrund und ihre Einsatzmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt berichtet. Arda Nur ist einer von ihnen. Jeden Tag scrollt er auf seinem Handy durch die Fotos und Videos von seiner Familie, die immer noch in der Türkei ist. Arda Nur ist Kurde und wird in der Türkei politisch verfolgt. «Da in der Region, aus der ich stamme, ausschliesslich Kurd*innen leben, haben wir dort Probleme. Ich musste hierherkommen, nachdem in der Türkei aus politischen Gründen ein Haftbefehl gegen mich erlassen wurde.»

Arda Nurs Bilder, die er mit Acrylfarbe malt, hängen in der Asylunterkunft an der Wand. Er hat in der Türkei als Verkäufer im Exportund Logistikunternehmen seiner Familie gearbeitet. Seine Muttersprache ist Kurdisch, schreiben und lesen kann er jedoch nur auf Türkisch, da Kurdisch in der Türkei unterdrückt wird. Er lebt seit etwa elf Monaten in der Schweiz. Mit ihm leben in der Asylunterkunft Gurnigelbad zurzeit knapp 160 Personen. Jeweils acht Leute teilen sich ein Zimmer. Ein Grossteil von ihnen wartet schon über ein Jahr auf einen Entscheid. 160 Leute, die seit einem Jahr einer Arbeit nachgehen könnten.

Der demografische Wandel führt dazu, dass die Schweizer Bevölkerung immer älter wird und gleichzeitig immer weniger Leute arbeiten und in die AHV einzahlen werden. Insgesamt bedeutet dies, dass bis 2040 rund 431 000 Personen im Arbeitsmarkt fehlen. Dies sind rund acht Prozent der gesamten heute erwerbstätigen Bevölkerung. Michael Siegenthaler von KOF macht in diesem Zusammenhang auf einen grundsätzlichen Punkt aufmerksam: «Fachkräftemangel bedeutet für die Volkswirtschaft primär eine Bremswirkung. Wenn zusätzliche Fachkräfte in den Arbeitsmarkt integriert werden können, um die nicht gefüllten Stellen zu besetzen, bedeutet das sehr wahrscheinlich zusätzliches Wachstum.» Deshalb sei eine Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt gesamtwirtschaftlich sinnvoll. Daher sei es fragwürdig, dass gewisse Kantone Geflüchteten mit Restriktionen den Weg in den Arbeitsmarkt erschwerten.

Neben Asylunterkünften hat uns die Recherche auch in Rückkehrzentren geführt. Hier wohnen die Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde. Der politische Wille ist: Sie sollen sich nicht integrieren, sondern das Land möglichst schnell verlassen. Eine Arbeitserlaubnis steht deshalb ausser Frage. Die Realität ist jedoch: Die Hälfte der Abgewiesenen kann aus humanitären Gründen gar nicht ausgeschafft werden, weil die unsichere Lage in ihrem Heimatland es nicht zulässt. Sie bleiben länger in der Schweiz, viele von ihnen bis zu mehreren Jahren.

Ausharren in Resignation

Ein solches Rückkehrzentrum ist Bellelay im Kanton Bern, von den Höhenzügen des Juras umgeben. Hier oben ist es still. Eine weisse Schneedecke hat das Dorf unter sich bedeckt. Das Zentrum befindet sich im Gebäude einer ehemaligen Psychiatrie. Hier wohnen fünf Familien, hauptsächlich Frauen mit ihren Kindern. Wie in Gurnigelbad fährt auch hier der letzte Bus um 18:30 Uhr nach Tavannes, dem nächstgelegenen Dorf mit einem Laden. Nur die Kinder verlassen das Haus, um zur Schule zu gehen.

Die Bewohnerinnen sitzen zusammen im Gemeinschaftsraum. Eine Freiwillige, die regelmässig nach Bellelay kommt, verteilt Weihnachtsbeleuchtung und Kleider an die Frauen. Auch Lara Sambo wohnt hier. Sie trägt einen knöchellangen hellgrünen Rock mit afrikanischem WachsPrint und auf dem Kopf eine übergrosse gestrickte Wollmütze mit Schweizerkreuz und Raiffeisen-Logo. «Wir warten und warten», sagt sie. Sie ist mit ihrem kleinen Sohn hergekommen. Weit gereist, eine gefährliche Strecke. Im Kongo hatte sie eine Ausbildung als Näherin gemacht.

Hier in der Schweiz würde sie sich gerne zur Pflegeassistentin ausbilden lassen. Eine andere Frau aus Ghana spricht fliessend Englisch und hat als Sekretärin bei einer Immobilienfirma gearbeitet, jetzt in der Schweiz sähe sie sich im Marketing oder in der Pflege.

Die Frauen versuchen positiv zu bleiben, und doch ist ihren Gesichtern die Resignation anzusehen. Schlimmstenfalls droht ihnen eine Zwangsausschaffung, bestenfalls können sie auf ein Härtefallgesuch mit positivem Ausgang hoffen. Das Gesuch kann bei Familien nach fünfjährigem Aufenthalt in der Schweiz beantragt werden, bei Alleinstehenden je nach Alter nach fünfoder zehnjährigem Aufenthalt. Vorweisen müssen sie dafür unter anderem Deutsch-, oder wie hier in Bellelay, mit Zertifikat nachgewiesene Französischkenntnisse auf Niveau A1 sowie ein Stellenangebot. Um das Härtefallgesuch stellen zu können, müssen heimliche Wege gegangen werden, da die Kriterien dafür – nämlich Integration in die Gesellschaft, Sprachkenntnisse und ein in Aussicht stehender Arbeitsplatz – in der Situation als abgewiesene Person auf dem offiziellen Weg nicht unterstützt werden. Zudem braucht es Anwält*innen, die sich für die Leute einsetzen. Hauptsächlich sind das Freiwillige aus Solidaritätsorganisationen sowie Netzwerken. Im Jahr 2022 hat das Migrationsamt 12 383 Asylgesuche abgelehnt, knapp die Hälfte der weggewiesenen Personen hat Nothilfe bezogen. Auch Freiwilligenarbeit ist abgewiesenen Asylsuchenden nicht gestattet, und die acht bis zwölf Franken am Tag, die sie vom Kanton bekommen, verunmöglichen eine berufliche Integration – nur schon das Busticket ins nächste Dorf kostet die Hälfte davon. Eine ausweglose Situation: Einerseits ist nicht klar, wann sie in ihr Herkunftsland zurückkönnen, eine Rückkehr kann Jahre dauern. In der Zwischenzeit werden die Betroffenen minimal versorgt, nützen niemandem und wären eigentlich sehr gern zu Arbeit bereit. Auch aus Langeweile.

Das Rückkehrzentrum Enggistein liegt ebenfalls auf einem Hügel in einem spärlich besiedelten Tal. Eigentlich ein schöner Flecken, aber ausser Pferden haben die Leute keine Nachbarn. Soweit das Auge reicht, grasen sie eingezäunt auf der Weide um das Haus herum. Manchmal, wenn die Bewohner*innen des Zentrums eine Geburtstagsparty feiern, werden sie von der Besitzerin des Gutshofs zurechtgewiesen – die Pferde brauchen Ruhe, heisst es.

Einige der vierzig Leute, die hier leben, sind nun seit zehn Jahren in der Schweiz. Zehn Jahre, ohne einer Beschäftigung nachgehen zu können, sich beruflich zu entwickeln, sich zu qualifizieren. Ausserdem zehn Jahre Bangen und Angst haben vor der Abholung. Auch wenn sie es schaffen, nach zehn Jahren in der Nothilfe, ist es danach oft schwierig. Khalid Akram hat jahrelang in einem Rückkehrzentrum in Aarwangen gelebt. Er hat das Härtefallgesuch überstanden und eine Bewilligung erhalten. Nun ist er daran, sich für Lehrstellen zu bewerben. «Aber wenn ich mich bewerbe, fragen die Leute mich, wieso ich die letzten zehn Jahre nichts gearbeitet habe.»

Auf die Frage, wieso hier keine Lösung für die Beschäftigung der Menschen gefunden werde, sagt Regula Mader vom SEM, dass die rechtlichen Bestimmungen keine Möglichkeit für den Fall vorsehen, dass aufgrund eines Härtefallgesuchs keine Lösung gefunden würde. Die Kompetenz, die rechtlichen Bestimmungen zu ändern, liege beim gesetzgebenden Nationalrat. Im Oktober letzten Jahres hat der Bundesrat auf Antrag des Nationalrates entschieden, dass die Voraussetzungen von abgewiesenen Asylsuchenden und jugendlichen Sans-Papiers für den Zugang zur beruflichen Grundbildung gelockert werden sollen.

Andere haben bereits Lösungen entwickelt. Der Europarat und die UNESCO wollen mit einem «European Qualifications Passport» eine Art universellen Beleg für den Bildungsstand von geflüchteten Personen schaffen. So würde aufgrund verfügbarer Nachweise klar werden, welche Qualifikationen sie haben. Einen solchen Nachweis könnten sie bei potenziellen Arbeitsstellen vorweisen und so besser, schneller und von Anfang an in Berufen arbeiten, für die sie qualifiziert sind. Die Schweiz unterstützt bis dahin weder das Projekt des Europarats noch jenes der UNESCO. Die Schweizer Vertretung des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR mit seinem Hauptsitz in Genf sagt dazu: «Was den Europäischen Qualifikationspass für Flüchtlinge betrifft, so würden wir es in der Tat begrüssen, wenn sich die Schweiz an diesem Projekt des Europarates beteiligen würde. Das ist noch nicht der Fall. Dies würde vor allem jenen Flüchtlingen den Zugang zur Hochschulbildung und zum Arbeitsmarkt erleichtern, die auf der Flucht einen Teil oder die Gesamtheit ihrer Diplomdokumente verloren haben.» Doch bisher hat das zuständige Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) diesbezüglich noch keine Entscheidung getroffen.

Mit Hilfe der digitalen Plattform CrowdNewsroom haben wir 79 Personen im Asylverfahren zu ihrem Bildungsstand befragt. Konkret: Was sie früher gearbeitet haben und was sie sich vorstellen können, in der Schweiz zu arbeiten – und was sie sonst noch sagen möchten. Dies sind einige Rückmeldungen.

VENEZUELA

Ich habe 25 Jahre lang als Assistentin in einem Zivilgericht in der Gemeinde Río Chico, Stadtbezirk Páez, im Bundesstaat Miranda, Venezuela, gearbeitet. Ich würde gerne im Bereich des Schreibens und Transkribierens arbeiten, aber ich weiss, dass der sprachliche Faktor dies ein wenig schwierig macht. Ich würde aber auch gerne mit Kindern oder älteren Menschen arbeiten. Ich bin sehr motiviert und eifrig. Ich musste aus politischen Gründen flüchten, weil ich anders denke als der derzeitige Präsident Maduro. Ich kann nicht in mein Land zurückkehren, da ich bei der Einreise sofort festgenommen werden würde; es liegt ein Haftbefehl gegen mich vor.

AFGHANISTAN

Ich war Ölwechselmechaniker. Hier könnte ich als Fahrer von schweren Maschinen arbeiten. Ich strebe danach, meinen Job gut zu machen, und ich liebe es, effizient zu sein. Ich habe eine grosse Liebe zur Arbeit und würde gerne viel arbeiten.

TÜRKEI

Ich habe einen Master im Bereich Landwirtschaft, Elektround Sanitärinstallation. Hier könnte ich in der Elektrizität, Sanitäranlagen und Landwirtschaft arbeiten. Ich möchte weiterhin die Arbeit machen, die ich verstehe und einen Beitrag in diesem Land leisten.

TÜRKEI

Ich habe als Physiklehrer gearbeitet. In der Schweiz könnte ich eine Weiteroder Ausbildung als Physiklehrer, in der Autoreparatur, Schneiderei oder Haushaltselektrik machen. Es ist schwer, untätig zu warten, wenn man nicht bei der Familie ist.

IRAN

Ich habe 24 Jahre als Fahrer im Strassenbau gearbeitet. In Zukunft kann ich als Fahrer oder als Maler arbeiten. Während meiner Arbeit im Iran habe ich eine Innovation angestossen, einen Strassenbelag, der viel haltbarer ist. Arbeitslos zu sein seit einem Jahr, ist sehr schwierig.

TÜRKEI

Ich habe als Mathematiklehrer gearbeitet. Ich würde gerne an einer Universität studieren, um meine Chancen auf einen Arbeitsplatz zu erhöhen. Denn ich glaube, dass es schwer sein wird, eine Stelle als Mathematiklehrer zu finden. Aber wenn man mir die Chance gibt, kann ich auch als Mathematiklehrer oder in einem verwandten Bereich arbeiten. Ich kann im Bankensektor arbeiten, wenn ich die Möglichkeit habe, die notwendigen Kurse zu besuchen. Ich möchte mich auf jeden Fall am Arbeitsleben beteiligen und so schnell wie möglich integrieren.

IRAK

Ich habe einen Uniabschluss als Buchhalter. In der Schweiz würde ich gerne als Buchhalter arbeiten. Ich bin homosexuell und musste deshalb flüchten.

GUINEA

Ich habe als Maler und als Metallschweisser gearbeitet. In der Schweiz könnte ich das Gleiche machen. Ich bin zuerst nach Italien geflüchtet, aber dort ist es sehr hart. Deswegen bin ich jetzt hier, die Schweiz aber sagt, ich solle zurück nach Italien. Ich habe Angst, dass sie mich zwingen. Die Schweiz ist ein sicheres Land. Ich bin seit 2017 auf der Flucht.

TÜRKEI

Ich habe 7 Jahre als Masseur im Tourismussektor gearbeitet. Ich kann auf dem Bau arbeiten oder als Fahrer. Ich möchte arbeiten, aber es will mich niemand nehmen mit N-Ausweis. Ich möchte einfach arbeiten, ich will nicht mal Geld dafür.

 

Hier findest du alle Befragungsergebnisse .

 

 

 

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