… Kunst und Frieden
Fatima Moumouni ist mit Frederick von Leo Leonni aufgewachsen, der Maus, die Sonnenstrahlen, Farben und Wörter sammelt, während die anderen am Büezen sind.
Ich habe S. vor fünf Jahren das letzte Mal getroffen. Wir lernten uns in einem internationalen Projekt kennen, wo man in artsy Sprache über Kunst und Dekolonialisierung sprach. S. ist Kuratorin, arbeitet in einer grossen russischen Galerie. Dort legt sie den Fokus auf Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderung, ausserdem kämpft sie für LGBTQ+-Rechte und gegen Diskriminierung. Letztens traf ich sie wieder, weil sie für einen Rechercheaufenthalt für einen Monat in der Schweiz war. Die Kunst hatte ihr ein Visum, ein wenig Ruhe sowie Geld in Form von «per diems» verschafft, von Tagegeldern. Sie sagte, dass sie den Glauben an die Kunst verloren habe, weil die Situation in Russland so frustrierend sei.
Irgendwann fragt sie mich ironisch, im Tonfall einer Journalistin: Wie es ist, «in diesen Zeiten» Kunst zu machen? Sie hatte den ganzen Abend erzählt: Von der Einsamkeit, weil ihre Freund*innen und viele politisch Gleichgesinnte das Land verlassen hatten, sie aber blieb, weil sie sich ihrer Arbeit verpflichtet fühlte, obwohl sie spürte, dass Putin in kürzester Zeit alles kaputt gemacht hatte, wofür sie seit Jahren kämpfte. Von der Sprache, die sich verändert habe, seit man vieles nicht mehr sagen dürfe (wie zum Beispiel «Angriffskrieg»), und vom vielen Misstrauen, das herrsche, von der Unsicherheit und Angst vor politischer Verfolgung. Wir lachten beide über ihre Journi-Frage, aber als wir aufhörten, konnte ich nicht antworten.
Dann hatte ich Lust, ein Bild zu malen, um mich von der unangenehmen Stille abzulenken. Ich dachte an etwas Ruhiges, eine realitätsgetreue Bleistiftzeichnung der Alpen vielleicht, ein riesiges «mural» mit einem Pinsel aus Schamhaaren oder ein Gedicht aus Würgelauten. Ich schwieg und verzichtete darauf, S. mit meiner Kunst zu behelligen. Klar, ich habe mich ohnehin eher dem politischen Schaffen verschrieben – trotzdem erscheint auch das aus meinem sicheren Kontext heraus oft wie eine Farce. Ich meine – wie steinhart muss man sein, in/aus der Krise Kunst zu machen und nicht etwas anderes?
Ich habe eine Art agnostischen Zugang zu meiner Kunst, was natürlich vollkommen absurd ist, da ich davon (ich würde mich nie trauen zu sagen «dafür») lebe – wie eine Made im Speck: Was ist so wichtig daran, dass sie auch in Anbetracht von weltweiten Kriegen, Klimakrise und Hunger bestehen und gezahlt werden muss? Ich erinnere mich an die Kampagne, die während der Covid-Massnahmen im Kampf um Daseinsberechtigung zum Thema «Systemrelevanz» von Kunstschaffenden lanciert wurde: Ohne (K)uns(t) wird’s still. Ich hatte mich ein bisschen dafür geschämt, weil ja Leute starben, vielleicht ist es manchmal auch gut, einfach mal die Fresse zu halten.
Aber ist im Umkehrschluss die einzig relevante Kunst der Welt die Kriegsund Krisenfotografie sowie vielleicht noch das Bogenschiessen und die Internationale? Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, nicht wie ein weltfremder Unmensch zu klingen, wenn man den Wert von Ästhetik und Muse in schlechten Zeiten schätzt und darauf vertraut, dass dies seine Wirkung tut? Oder sollte man sich besser eingraben und darauf hoffen, die Welt zu überdauern und in einem neuen hoffnungslosen Jahrhundert den Menschen ein Lichtblick zu sein, als Beispiel für die Überlebenskraft der Kunst?