Pörtner in Regensdorf

Der Zürcher Schriftsteller Stephan Pörtner besucht Surprise-Verkaufsorte und erzählt, wie es dort so ist.

25.05.2023Stephan Pörtner

Beim Zentrum Regensdorf wurde nicht gekleckert, sondern geklotzt. Es sind grosse, viereckige Gebäude, in denen alles untergebracht ist, was es zum Leben braucht. Immerhin dringt die Sonne durch die Oberlichter der weitläufigen Passagen, die durch den mehrstöckigen Einkaufsklotz führen. Unten ist ein Fitnesscenter mit Saunalandschaft, Bädern und allem, was dazugehört. Das war, als es eröffnet wurde, neu und zog Besucher*innen von weit herum an, sogar aus der Stadt, denn so etwas gab es dort seinerzeit noch nicht, nicht in dieser Grösse.

Gross ist hier alles, die Läden, die drei Hochhäuser, von denen eines vor dem Eingang des Zentrums steht. Daneben ist ein Hotel, das über einen edlen Vorplatz verfügt, auf dem Limousinen vorfahren könnten. Limousinen fahren jedoch keine vor, aber es tritt eine Gruppe Tourist*innen heraus, bereit, die Gegend zu erkunden. Sie bewegen sich in Richtung des historischen Zentrums, nicht des Einkaufszentrums. Verlässt man Letzteres durch den Hinterausgang, vorbei am China-Restaurant, in dem alte Männer Bier trinken, an der Recyclingstation und dem Automaten, aus dem mittels eines Kranarms Stofftiere geangelt werden können, gelangt man durch eine Drehtür zu einem Hochhaus, vor dem fünf unbeflaggte Fahnenmasten stehen.

Hier wurde, vermutlich in den 1970erJahren, die neue Welt erschaffen, in der zwischen Wohnen, Einkaufen, Fitness nur kurze Strecken im Freien zurückgelegt werden müssen. «Alles unter einem Dach» wird denn auch in der Drehtür geworben, die Mitarbeitenden der beiden sonst konkurrenzierenden Grossverteiler sitzen harmonisch nebeneinander auf einem roten Würfel. Zu Fuss gehen wurde als bald obsolet betrachtet, dem Auto wurde viel Platz eingeräumt. Inzwischen gibt es auch für Velos Kurzund Langzeitparkplätze, sauber angeschrieben. Wer weiss, ob diese Zukunft des Vermeidens der Aussenwelt wieder aktuell wird, wenn die Temperaturen dereinst so weit steigen sollten, dass der Aufenthalt im Freien unerträglich wird.

Zurzeit scheint sie noch etwas veraltet, diese Zukunftsvision. Die Gänge sind nicht leer, doch das Publikum ist spärlich. Am Esspunkt sitzen junge Frauen bei Red Bull und Evian und geben sich Fist Bumps. Daneben richtet sich eine vielköpfige Dreigenerationenfamilie mit zwei Kinderwagen ein. Eine Kinderschar vergnügt sich laut kreischend auf dem restauranteigenen Kletterturm, der etwas eingezwängt in der Ecke steht, flankiert von den obligaten fröhlichen Comic-Figuren, mit denen Kindern eine Welt voller Spass und Abenteuer vorgetäuscht wird. Draussen scheint die Sonne, doch die wird hier von niemandem vermisst. Wer sich verläuft, findet sich unverhofft vor ein paar Sesseln, die um ein rundes Tischchen aufgestellt sind. Dies ist das Business Center. Dazu gehört auch ein verschlossenes Sitzungszimmer. Die Frau, die dort mit ihrem Einkaufswagen voller kleiner Sektflaschen Platz genommen hat, scheint aber nicht aus geschäftlichen Gründen vor Ort zu sein.

Irgendwann wird es aber Zeit, das Zentrum zu verlassen und ins Ortszentrum zu wechseln, das mit seiner Kirche und den alten Häusern fast ein wenig künstlich wirkt, nach so viel angejahrter Modernität.

 

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