Pörtner in Zürich, Hartbrücke

Der Zürcher Schriftsteller Stephan Pörtner besucht Surprise-Verkaufsorte und erzählt, wie es dort so ist.

25.05.2023Stephan Pörtner: Stephan Pörtner

Durch den Bahnhof Hardbrücke fahren nicht nur viele Züge, auch auf den Perrons ist es ziemlich zugig. Sofern man nicht zum Umsteigen ausgestiegen ist, muss man hinaufoder hinabsteigen, um weiterzukommen. Hinauf geht es auf die namensgebende Hardbrücke, auf der Tram und Bus halten. In den Boden eingelassen ist eine Licht-Show, die das Verhalten der Radfahrenden steuern soll, welche der Veloweg mitten durch die Haltestelle führt. Wer sich weit genug vorwagt, hat Aussicht auf den Zürcher Hausberg und die altehrwürdigen Hard-Hochhäuser, je nach Tageszeit und Wind ist der Schlachthof zu riechen.

Auf der anderen Seite steht der PrimeTower, der ein paar Jahre lang das höchste Hochhaus der Schweiz war. Zuoberst befindet sich ein Restaurant und eine Bar, von der aus man die Stadt weiträumig überblicken kann. Nicht der Eiffel-Tower, aber immerhin.

Wer vom Perron aus hinabsteigt, gelangt in einen kühlen Betonkeller, in dem es einen Kiosk gibt, weiter vorne gesunde Zwischenverpflegung. Für einmal fehlt die Mall, obwohl hier ein bedeutender Personenumschlag stattfindet. Tritt man wieder an die Erdoberfläche, befindet man sich immer noch unter dem schweren Betondeckel der Brücke. Hier ist erlebbar, was mit der grauen Energie gemeint ist, die in Bauwerken der Verkehrsinfrastruktur steckt. Linkerhand ist das moderne Zürich West aus Stahl, Glas und Beton, die Bürogebäude,

eine Event-Halle, Verpflegungsstätten. Rechter Hand erstreckt sich ein noch nicht saniertes Gebiet kleinteiliger Gebäude, Clubs, Restaurants, Cafés und Läden. Überbleibsel aus einer Zeit, als hier der Stadtrand lag und Platz für Experimente bot. Etwas weiter hinten beginnt bereits das neourbane Zwischending, die Viaduktbögen, wo es auch um Shoppen, Kultur und Essen geht, aber mit kleinen Läden und sozialen Projekten.

Dem Bahnhof ist es egal, ob man von links oder von rechts kommt, alle werden aufgenommen und abtransportiert. Hardbrücke ist einer der Bahnhöfe mit den höchsten Nacht-Frequenzen. Hier ist vor der Party nach der Party, frisch, fit und gestylt die Ankommenden, oft schon etwas zerzaust, schwankend und abgekämpft die Abfahrenden. Als eine Zeitlang die Tonhalle gleich nebenan einquartiert war, begegneten sich die Grosselternund Enkel-Generation in den S-Bahnen, die in die besseren Vororte fuhren, und konnten so ihr Ausgehverhalten vergleichen. Ob es die Generationen nähergebracht hat, ist nicht überliefert.

An diesem Nachmittag, an dem nach ein paar sonnigen Tagen wieder mal ein fieser Wind weht, der sich in dieser Betonarchitektur besonders fies anfühlt, ist für einmal wenig los, was auch an den Ferien liegen mag. Die Sportferien sind den Zürcher*innen heilig. Ausser im Hochsommer ist die Stadt nie so verlassen, daran haben auch die immer prekärer werdenden Schneeverhältnisse nichts geändert. Zudem gibt es auch in den Bergen Clubs und Bars und wer weiss, wenn die Leute sich von dort auf den Heimweg machen und ihnen der eisige Wind um die Ohren pfeift, fühlen sie sich vielleicht fast wie zuhause, wie am Bahnhof Hardbrücke.

 

Mehr zum Thema Kolumnen