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Urs bricht auf

Von einem, der auswandern will

Rückkehr Urs Saurer ist dienstältester Surprise-Verkäufer in Basel. Weil er in der Schweiz von seiner AHV kaum leben können wird, plant er, nach Kamerun auszuwandern. Doch schon beim ersten Besuch erwischt ihn die Malaria.

TEXT: SARA WINTER SAYILIR

FOTOS: ROLAND SCHMID

ILLLUSTRATION: BIRGIT LANG 

Vorgeschichte: Der stadtbekannte Basler Surprise-Verkäufer Urs Saurer fasst den Entschluss, nach Kamerun auszuwandern. Er ist auf der Suche nach einem Alterssitz, wo er mit seiner mageren AHV leben kann und auch eine Aufgabe hat. Nachdem Urs die Reisevorbereitungen und den Flug trotz allerlei Widrigkeiten hinter sich gebracht hat, erreicht er im Spätherbst 2017 Yaoundé, wo er drei Wochen verbringen möchte, um sich ein Bild von seinem potenziellen neuen Wohnort zu machen. Dort empfangen ihn Kathrin Witschi und Carole Erlemann Mengue, die Urs aus Basel kennen und vor Ort verschiedene Austauschprojekte zwischen Kamerun und der Schweiz verwirklichen.

«Urs ist angekommen.» So lautet die SMS, die Kathrin ihrer Mutter Susanne in der Nacht von Sonntag auf Montag schickt. Endlich, hätte sie noch hinzufügen können. Urs hatte beim Umsteigen in Istanbul seinen Weiterflug nach Yaoundé verpasst. Kathrin Witschi und ihre Freundin Carole Erlemann Mengue hatten am Donnerstagabend vergeblich auf ihn gewartet. Enttäuscht standen sie am Flughafen und machten sich Sorgen, was wohl passiert sein könnte. Erst später erfuhren sie von dem Malheur mit dem verpassten Anschluss. Kathrin mag diese Fahrten in die Stadt nicht, so viel Zeit, die sie im Dorf lieber mit sinnvoller Arbeit verbracht hätte, und so viel Stress mit dem Verkehr der hektischen Metropole. Als Urs dann aber Sonntagnacht am Flughafen ins Freie tritt, ist das schnell vergessen.

Er fühlt sich sichtlich wohler, der Flughafen von Yaoundé ist klein. Kein Vergleich mit «dem schrecklichen Istanbul». Es kostet den 60-Jährigen aber zwei ganze Tage, bis er den Stress mit dem verpassten Flug richtig hinter sich lassen kann. Im Dorf Afambassi nahe der Kleinstadt Obala, etwa 40 Kilometer nördlich von Yaoundé, lebt er sich schnell ein. Anfangs sind die Gastgeberinnen von ihrem Besuch noch sehr gefordert: Urs spricht nur sehr rudimentär Französisch und hat eine Frage nach der anderen. Also übersetzen Kathrin und Carole bei Gesprächen, sie erklären, führen herum. Urs knüpft schnell eigene Kontakte. Die jungen Leute dort lernen schneller Deutsch als er Französisch, stellt er dabei fest. Und er macht sich sofort nützlich, indem er Lehm vom Fluss holt, um undichte Fenster zu kitten.

Schnell wird er selbständiger, manchmal müssen Kathrin und Carole ihren Besuch suchen, bis sie ihn zufrieden in irgendeiner Palmweinbar oder auf der Plantage wiederfinden. Urs liebt die Arbeit auf dem Feld, es kommt der Gartenarbeit am Nächsten, die er auch in Basel schon gern gemacht hat. Zudem findet er es spannend, die ganzen neuen Gewächse und ihre Eigenheiten kennenzulernen. Nun weiss er, dass Yams in Kamerun Igname heisst und eine wichtige Rolle in der lokalen Ernährung spielt. Mit der Machete erntet er Bananen, auf grossen Decken hilft er, Kakaobohnen in der Sonne zum Trocknen auszubreiten. Die Ernte ist die Haupteinnahmequelle des Vereins CDAS-BC, der auf verschiedenen Ebenen den schweizerisch-kamerunischen Austausch fördert. Einmal die Woche fährt jemand auf den Markt, von den Einnahmen können sie dann eine Zeit lang leben. So gefällt Urs das Leben.

Drei Wochen vergehen wie im Flug

Bald verbringt Urs die Nächte statt in seinem Zimmer lieber in der Küche, wo Caroles ältere Schwester Esswaren vorbereitet, die sie am nächsten Tag verkaufen wird. Er ist fasziniert von ihr und schaut ihr zu, wie sie geschickt Teig in Blätter rollt und mit Bindfaden gürtet. «Mein Kirchen-Schätzeli» nennt er sie, weil sie jeden Sonntag in die Kirche geht und er sie wohl liebgewonnen hat in den gemeinsam verbrachten Nächten. Verständigen können sie sich zwar nur mit Hand und Fuss, der gegenseitigen Zuneigung aber steht das nicht im Weg. Carole und Kathrin freuen sich im Stillen, dass Urs sich offenbar wohl fühlt, und sie können sich gut vorstellen, dass er für immer bleibt und mit ihnen zusammenarbeitet. Urs sprudelt förmlich über vor neuen Ideen wie einer Honigbienenzucht oder dem Brennen von Mangoschnaps.

Die drei Wochen Probezeit in Kamerun verfliegen. Mitte Dezember reist Urs wieder zurück in die Schweiz, ganz ohne Zwischenfälle. Direkt nach seiner Rückkehr geht Urs ins Tropeninstitut. Er hatte seine Malaria-Prophylaxe-Tabletten bei der Abreise zuhause vergessen und, weil Kathrin auch nicht regelmässig welche nahm, beschlossen, dass er auch ohne zurechtkäme. Nun sind seine Arme übersät von Mückenstichen. Die Gegend, wo er war, ist Hochrisikogebiet, auch Kathrin hat die Malaria schon mal schwer erwischt. 30 Franken kostet ihn die Untersuchung im Tropeninstitut. Man nimmt ihm aber kein Blut ab, fragt nur Symptome ab. Fieber hat er keines, müde fühlt er sich auch nicht. Alles tipptopp.

Zwei Wochen später, am 3. Januar, liegt der sonst unermüdlich arbeitende Urs plötzlich bei seinem angestammten Arbeitgeber, dem Arbeitsintegrationsprojekt Overall, mit einer Decke auf dem Boden und ist zu erschöpft zum Aufstehen. Das sieht Urs gar nicht ähnlich, das Team ist alarmiert. Hinsetzen will er sich nicht, Wasser nimmt er erst nach zweimaligem Nachfragen an. Ein Kollege bringt ihn mit dem Tram ins Unispital, Urs kann kaum noch laufen. Noch zwei, drei Stunden länger, und Urs hätte es nicht überlebt, sagt der Arzt im Spital. Akutes Leber- und Nierenversagen, eine häufige Komplikation bei Malaria tropica, der schwersten Form der Krankheit. Zehn Tage Koma, zwei Wochen Intensivstation. Eine Folge des Organversagens: Die Zehen am einen Fuss laufen blau an und drohen abzusterben.

Urs ist zäh, er erholt sich, wenn auch langsam. Einen Monat liegt er im Unispital. Am 9. Februar feiert er auf der Spitalterrasse seinen Geburtstag, zahlreiche Freunde, Kollegen und Mitarbeitende von Surprise, vom Schwarzen Peter, dem Basler Verein für Gassenarbeit, und von Overall kommen ihn besuchen. Man sorgt sich um ihn, verfolgt seine Genesung. Erfolgreich hat er sich gegen die Amputation der blauen Zehen gewehrt, aus Angst, er könne danach nie wieder laufen. Tatsächlich gibt es eine Chance auf Erholung, wenn man den Fuss regelmässig desinfiziert und feucht verbindet. Und weil Urs’ langsame Wundheilung für eine OP ein gewisses Risiko darstellt, halten auch die Ärzte inzwischen eine Amputation nicht mehr für die beste Lösung. Urs hängt nicht nur an seinen Zehen: Er hat von einem auf den anderen Tag aufgehört, Alkohol zu trinken. Das knappe Vorbeischrammen am Tod hat ihn mitgenommen und er will seine ohnehin angegriffene Leber nicht mehr weiter belasten.

Wie soll es nun weitergehen?

Nach einer Weile wechselt er zur Reha ins Felix-Platter-Spital. Als er Ende Februar von dort entlassen wird, ist er nur noch ein Schatten seiner selbst. Zwar ist die Malaria nicht mehr akut, aber er sieht um Jahre gealtert aus, braucht nun einen Rollator zum Laufen. Übergangsweise kommt er bei einem Kollegen von Surprise unter, eine Notlösung, bis er wieder einen eigenen Plan hat. Urs hat Mühe, wieder zurückzufinden in sein hiesiges Leben. Viel lieber wäre er in Kamerun. Aber eine weitere Malaria würde er nicht überleben, das hat der Arzt ihm eingebläut.

Nun muss Urs sich überlegen, wie es weitergehen soll, und eine IV-Rente beantragen, denn arbeiten kann er erstmal nicht. Nein, er will nicht ins Männerwohnheim, viel zu teuer, und zu seinen Geschwistern ins Berner Oberland möchte er auch nicht. Denn dort in Sigriswil wohnt man zu weit ab von allem, man braucht ein eigenes Auto oder ist immer angewiesen auf andere. Kein Laden im Dorf, kein Arzt, keine Arbeit. Urs möchte lieber eine eigene Wohnung in Basel. Aber hier ist günstiger Wohnraum notorisch knapp, und wer vermietet schon an jemanden, der auch mal wegen seiner Betreibungen gesessen hat und dessen momentane Einkommensquelle das Sozialamt ist? Die Unsicherheit, die unbequeme Wohnsituation auf Zeit, die Abhängigkeit von anderen zehrt an Urs und seinen Nerven. Als er am 13. März bei Surprise sitzt und Kaffee trinkt, hängt er buchstäblich in den Seilen. Er spricht noch langsamer als sonst, klagt über extreme Müdigkeit seit einer Woche. Die Mitarbeitenden machen sich Sorgen. Ob er lieber ins Spital gehen und abklären wolle, ob alles in Ordnung sei? Mit ein wenig Mühe lässt Urs sich überzeugen.

Das Spital behält ihn gleich da: Die Malaria ist zurück.

 

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