#599 Armut: Kriminalisiert
Die Schweiz hat einen ausgebauten Sozialstaat. Aber auch eine Tradition im Bestrafen, Wegweisen und Wegsperren von Menschen, die den Normen und Standards einer Leistungsgesellschaft nicht genügen. Dazu gehören auch die Armen und Abgehängten.
Man möchte fragen: Hat ein Wohlstandsland wie die Schweiz das nötig? Was macht es mit einer Gesellschaft, wenn man immerzu wegschiebt, was einem nicht passt, was stört und unbequem ist? Wie sehr prägt uns eine derart gefilterte Sicht auf die Welt?
Für die, die es angeht – die den Normen nicht entsprechen –, ist das eine Zurückweisung auf der ganzen Linie. Wer stigmatisiert wird, dem wird (wenn auch oft hinter vorgehaltener Hand) gesagt: Geh weg, du bist hier nicht willkommen, du gehörst nicht hierher.
Und wir, was machen wir? Wenn wir damit einverstanden sind, dass den Armen das Betteln verboten wird, dass man sie wegscheucht aus dem öffentlichen Raum oder dass sie wegen Fahrens ohne Ticket mit Gefängnis bestraft werden: Tragen wir dann nicht zu einer Gesellschaft bei, die partout von allem angeblich Abseitigen bereinigt werden muss? Indem wir eine Stigmatisierung der anderen dulden, vergrössern wir Stück für Stück den Raum, wo sie sich nicht mehr sicher fühlen können, wo sie unsichtbar gemacht und irgendwann übersehen werden. Dabei ist gerade dies eine der schlimmsten Formen der Missachtung: nicht mehr gesehen zu werden.
Lesen Sie dazu den Essay von Christoph Keller, treffend illustriert von Elena Knecht.
Dieser und noch andere Beiträge von Emilie Asplund, Giulia Bernardi, Monika Bettschen Diana Frei, Adelina Gashi, Yvon Kunz, Fatima Moumouni, Karin Pacozzi, Stephan Pörtner und Luca Wiggers sind jetzt auf der Strasse zu haben.
Wir wünschen eine aufregende und anregende Lektüre!