In den Köpfen der anderen
Serie: Orte der Begegnung
In der Serie «Orte der Begegnung» begeben sich die Redaktionsmitglieder dorthin, wo in unserer funktionalen
Welt ein leiser, selbstverständlicher, informeller Austausch stattfindet.
Im Kino sind die Stammgäste Menschen, die eine Leidenschaft für Filme teilen. Das ist zugegebenermassen eine etwas banale Feststellung. Interessant daran aber ist, dass sie mit den Jahren, die sie schon hierherkommen, immer mehr Bilder, Orte, Figuren, Ereignisse teilen, die sie alle im Kopf haben. Ihr Fundus an gemeinsamen Geschichten wächst mit jedem Eintritt, ohne dass sie in Realität je etwas zusammen unternommen hätten.
Vielleicht sind dadurch ähnliche Gedanken durch die Hirnwindungen der Personen gegangen, die hier am langen Tresen der Bar des Kino Xenix stehen. Sie können darüber reden, lange Gespräche über das Gesehene führen. Oder auch nur für sich wissen, dass der oder die andere kennt, was sie kennen, und sich dadurch irgendwie verbunden fühlen.
Das Barackenkino auf dem Kanzleiareal ist eine feste Institution. Im Saal stehen drei Reihen Sofas von der Sorte, die manchmal als «gratis» oder «zum Mitnehmen» markiert vor Häusern herumstehen. Sie erinnern ein bisschen an den Flohmarkt, der draussen auf dem Kiesplatz jeweils samstags stattfindet (und bei dessen Besuch man die Hoffnung hat, dass man da vielleicht irgendwann seinen Hoodie wiederfindet, den man im Quartier verloren hat). Im Kino sind die Sofas dazu da, sich darauf zu lümmeln, die Bierflasche zwischen den Armlehnen einzuklemmen und damit zu leben, dass man sich nicht immer ganz klar vom Nebenmensch abgrenzen kann. Mit den überteuerten Logensitzen der kommerziellen Kinos haben sie jedenfalls rein gar nichts zu tun.
An der Bar macht das Filmpublikum aber wohl nur einen Bruchteil der Gäste aus. Der Übergang, der zwischen Kinosaal und Bar besteht, findet sich genauso zwischen der Bar und Kiesplatz draussen, dem Treffpunkt unterschiedlichster Communitys. Sie koexistieren im gemeinsamen Soziotop: eine nordafrikanische und eine Subsahara-Community, ein Teil der Punk-Szene, Alteingesessene aus dem Chreis Cheib, wie das Quartier hier informell heisst. Die Pétanque-Truppe, die Schachund die Ping-Pong-Spieler*innen. Die afrikanische Community findet drinnen in der Bar auf den Holzhockern genauso zusammen wie draussen, wo eine von ihnen aus grossen Töpfen mitgebrachtes Essen für alle schöpft. Die Chreis-Cheibe hängen zusammen an der Bar, man ist mal hier, mal da, jemand geht raus, um eine Zigi zu rauchen, andere stossen dazu. Alles ist durchlässig, die Ränder der Gruppe, die Grenzen des Ortes. Gruppen, die ständig im Fluss sind, die ganze Woche über und nicht nur, wie in vielen Clubs, am Weekend. Das hier ist nicht Party machen. Sondern Alltag, das Leben. Ein Ort der Begegnung eben.
Einen solchen schuf neulich auch der deutsche Schauspieler Lars Eidinger beim Publikumsgespräch im Kinosaal. Wobei das den meisten der anwesenden Gäste wohl nicht von Anfang an so klar gewesen sein dürfte, denn er tat es auf etwas gewöhnungsbedürftige Art: Da war zunächst das Klicken der Kamera der offiziell anwesenden Fotografin, das ihn störte. Dann massregelte er einen Zuschauer in der ersten Reihe, weil er mit dem Smartphone filmte oder fotografierte. Und ja, auch der Tagi-Journalist musste noch die Hand heben auf die Frage hin, ob sich Journalist*innen im Raum befänden, die über den Anlass schreiben würden. Vielleicht dachten da noch manche im Zuschauersaal: Eidinger, was für eine Diva. Um es kurz zu machen: Das alles hatte Sinn und Zweck, denn er schaufelte damit bewusst alles beiseite, was einer echten Begegnung mit dem Publikum im Weg stehen kann. Die Gedanken daran, wie man nun fürs Foto posieren muss. Die Angst, blöd auszusehen. Etwas falsch zu formulieren. Die Versuchung, nur vorgefertigte Sätze abzuliefern und Gedanken für sich zu behalten, damit niemand eine verzerrte Schlagzeile daraus zimmert. Was folgte, war ein Austausch, der befreit wirkte.
Orte der Begegnung wachsen organisch, wie draussen und vor der Bar. Oder man schafft sie, weil sie einem wichtig sind. Eidinger mischte sich nach dem Gespräch unter die Barflys am Tresen. Ganz nahtlos fügte er sich mit seinen 1.90 Metern in der Schweiz ja nicht ein. Vielleicht aber doch. Denn was die Menschen hier auch vereint: Dass sie alle unverkennbar eigen sind.