… und Brotz

Ich habe eine Gesprächsreihe im Theater Gessnerallee, die heisst «Die Neue Unsicherheit». Es geht darum, Unsicherheit als positiven Motor fürs Weiterdenken wahrzunehmen. Ich möchte mit meinen Gästen in ein Gespräch kommen, in dem nachgedacht, Meinungen revidiert werden können, und nicht ein souveräner, sondern ein möglichst ehrlicher Abend herauskommt.

24.05.2023Fatima MoumouniIllustration: Christina Baeriswyl
Kolumne von Moumouni: Sandro Brotz

Kolumne von Moumouni: Sandro Brotz, Illustration: Christina Baeriswyl

In der letzten Ausgabe hatte ich den SRFArena-Moderator Sandro Brotz zu Gast. Wir haben uns schon einmal gegenübergesessen, 2020, in der aufgrund von öffentlichem Druck wiederholten «Arena»Sendung zum Thema Rassismus in der Schweiz. Die Unsicherheit in unserem Gespräch war damit wohl gegeben: Ich wusste nicht, ob ich einen Rahmen schaffen können würde, in dem Brotz sich wohl genug fühlt, damit wir wirklich darüber sprechen können, was damals falsch lief, was er seitdem über die Bearbeitung von Themen wie Rassismus in der «Arena» denkt und ob er selbst manchmal Zweifel am Format hat.

Er dagegen wusste nicht genau, worauf er sich einliess, und hatte ausserdem mit einem Publikum zu tun, das sich nicht als Zielpublikum der «Arena» mitgedacht fühlt und das auch kundtat: queere, Schwarze, migrantisierte, behinderte Menschen, die auch in Schweizer Parteien kaum oder gar nicht vertreten sind – da sich die Diversitätsbestrebungen der «Arena» hauptsächlich auf die Meinungsvertretung aller regierenden Parteien beschränken, wie Brotz selbst sagte.

Das Publikum war schwieriger zu verunsichern: Ein Teil wollte, dass ich ihn «fertig mache» und fand entweder, dass mir das gelungen war oder nicht, ein anderer Teil war so gerührt von der blossen Teilnahme von Starmoderator Brotz am Gespräch, dass es am liebsten gehabt hätte, wenn ich ihn schlicht zu seinem spannenden Job befragte. Wiederum andere hatten Mitleid: Sie spürten Unbehagen, Brotz beim «Versuch, alles richtig zu machen», zuzusehen – zumal es natürlich nicht einfach ist, vor einem so diversen und fordernden Publikum über Rassismus zu reden, als weisser Mann in Brotz’ Rolle und mit der Vorgeschichte von vor zwei Jahren. Bei diesen Zuschauer*innen war das Bedürfnis gross, ihn allein fürs Mitmachen zu belohnen.

Viele der Reaktionen waren vorhersehbar – eine hat mich irritiert. Nach der Veranstaltung fand ich mich schnell in einem technischen eedbackgespräch mit zwei weissen Freunden wieder. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass sie vor lauter Schwärmen für den mutigen weissen Mann nicht mehr in der Lage waren, das Gespräch in Bezug auf den Anspruch der «Unsicherheit» zu bewerten: Sie verklärten Brotz als selbstlosen Gesprächspartner, der ja «nichts vom Gespräch gehabt» habe, und seine wohltätige Teilnahme als Ehre für mich. Weiter waren sie beeindruckt von seinen in der Tat imponierenden professionellen Skills, sodass sie meinten, er habe das Gespräch dominiert und eigentlich nichts gesagt, was ausserhalb seiner Komfortzone lag, während sie mein Interesse, über Rassismus zu sprechen, als naiv bewerteten. Und die Unsicherheit? Um die ging es doch. Aber die ging meinen beiden Herren technischen Beobachtern im Brotz-Rausch wohl verloren. Sie wussten nur, dass sie, wenn sie gross sind, ein Mann wie Brotz werden wollten. Ob man sich in der Bewertung, wie sich ein weisser Mann in einem Gespräch über Rassismus schlägt, auf weisse Männer verlassen kann – da bin ich mir nicht so sicher.

 

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