Die Unerwünschten

Im öffentlichen Raum machen bauliche Massnahmen bestimmten Bevölkerungsgruppen den Aufenthalt immer unangenehmer. Wie gelingt die «Stadt für alle»? Ein Blick nach Bern.

30.05.2025TEXT UND FOTOS: Klaus Petrus

Der Europaplatz ist nur auf den ersten Blick eine Betonwüste – immerhin kann man hier trocken liegen, skaten und auch laut sein. Foto: Klaus Petrus

Es gehört zu den Dingen im Leben, die man nicht sieht, wenn man nichts davon weiss. Oder hätten Sie, während Sie durch die Stadt schlendern, je daran gedacht, dass diese wohldesignten, wurmartigen, abgerundeten, mit vielen Lücken versehenen Sitzbänke dazu da sind, Menschen zu verscheuchen? Damit sie nicht länger als nötig darauf verweilen, sich womöglich noch hinlegen, um auszuruhen oder zu schlafen?

Was wie eine absurde Annahme erscheint, hat in vielen Städten System und zudem einen reichlich abgehobenen Namen: «Defensive Architektur» – womit bauliche Massnahmen gemeint sind, um sich gegen alles (angeblich) Feindliche, ob Menschen oder Tiere, zu verteidigen. Bereits in den 1970er-Jahren wurden in New York und kurz darauf in vielen anderen Grossstädten Holzbänke so gestaltet, dass Menschen, die auf der Strasse leben, nicht darauf schlafen konnten. Schon damals war von «Anti-Obdachlosen-Architektur» die Rede. Was insofern zu eng gefasst ist, als entsprechende bauliche Massnahmen nicht bloss Obdachlose betreffen, sondern beispielsweise auch Drogenkonsumierende, Jugendliche oder Skater*innen und Parkour-Sportler*innen. Auch sind Sitzbänke nicht das einzige Beispiel für die sogenannte defensive Architektur: Metallstifte auf Fensterbänken oder in Hauseingängen, damit man sich nicht hinsetzen oder hinlegen kann, Metallklötze an Kanten oder bei Treppen, um das Skaten zu verhindern, Neigungswinkel bei Betonklötzen, um sich nicht darauf niederzulassen oder Ultraschallgeräte in Geschäftseingängen und in Unterführungen, deren Frequenzen vor allem für junge Ohren unerträglich sind, gehören ebenfalls dazu.

Auf solchen Designschmuckstücken lässt es sich schlecht liegen. Foto: Klaus Petrus

Immer öfter finden sich gerade in Grossstädten bauliche Elemente, die bewusst ausschliessenden Charakter haben. Was grundlegende Fragen aufwirft: Wer ist eigentlich verantwortlich für die Installation defensiver Architektur im öffentlichen Raum und auch auf Privatgrund? Wie verläuft der Prozess von der Planung bis zur Umsetzung städtebaulicher Massnahmen, die bestimmte Gruppen von Menschen aus dem öffentlichen Raum ausschliessen? Wem gehört denn dieser Raum, wer hat eigentlich ein «Recht auf Stadt», wie der Soziologe Henri Lefebvre schon Ende der 1960er-Jahre provokativ fragte? In diesem Text begeben wir uns in der Stadt Bern auf die Suche nach Antworten.

Keine bösen Absichten?

Würde es nicht derart abgedroschen tönen, man könnte sagen: Roger Meier kennt Bern wie seine Westentasche. Er lebte lange ohne ein Zuhause im Wald und auf der Strasse. Dass Städte für Menschen wie ihn immer abweisender werden, konnte er über die Jahre beobachten, «leise und schleichend» sei das vonstatten gegangen, sagt Meier und nennt Beispiele: Bänke in Parks, die von einem Tag auf den anderen verschwinden, Dauerbeleuchtung in geschützten Winkeln, Sprinkleranlagen, die nachts angehen. «Man vertreibt uns zwar nicht oder weist uns weg, doch man vergrault uns. Und macht so, dass wir von selber aus dem öffentlichen Raum verschwinden.» Meier vergleicht die Strasse, auf der manche leben müssen, mit einer Wohnung. «Stellt euch vor, jemand kommt bei euch zuhause vorbei und macht die ganze Nacht Licht an, wenn ihr schlafen möchtet. Oder jemand nimmt euch einfach das Sofa weg oder sägt ein Stück davon ab, sodass ihr euch nicht mehr hinlegen könnt. Und es wäre nicht irgendwer, der in eure Wohnung kommt, sondern jemand von der Stadt.»

Hier soll man nicht sitzen und verweilen, finden die Ladenbesitzer*innen. Foto: Klaus Petrus

Dass die Stadt Bern gezielt defensive Architekturelemente installiere, weist sie zurück. «Defensives Design ist kein Gestaltungsprinzip, im Gegenteil: Die Stadt verfolgt einen inklusiven Ansatz bei der Gestaltung des öffentlichen Raums», man setze sich für eine «Stadt für alle» ein, heisst es beim Informationsdienst der Stadt Bern auf Anfrage. Dabei würden gerade sozialpolitisch relevante Themen von Anfang an und in allen Planungsschritten berücksichtigt. Als positives Beispiel nennt die Stadt die «neue Berner Bank», die in einem «interdisziplinären Entwicklungsprozess» konzipiert wurde; sie hat eine breitere Sitzfläche, steilere Rückenlehnen, Armlehnen sowie ertastbare Elemente für sehbehinderte Menschen. «Um eine Sitzbank zu schaffen, die für möglichst viele Menschen nutzbar ist, wurden Behindertenorganisationen, das Alters- und Versicherungsamt und weitere Fachstellen einbezogen. Ziel ist es, eine robuste, funktionale und allgemein zugängliche Möblierung bereitzustellen, die den Anforderungen des öffentlichen Raums gerecht wird, ohne bestimmte Nutzergruppen auszuschliessen.»

Die «neue Berner Bank» bietet zwar Fläche zum Schlafen, die Campingverordnung aber verhindert dies. Foto: Klaus Petrus

Stefan Kurath, Architekt und Professor für Architektur und Städtebau an der ZHAW Winterthur, hebt ebenfalls hervor, dass Inklusion in Architektur und Städtebau im Vordergrund stehe. Allerdings verweist er auf die Komplexität des gesamten Prozesses. «Zwar entwickeln Architekt*innen zum Beispiel im Auftrag der Stadt Ideen für die Gestaltung öffentlicher Plätze oder Bestandteile davon wie etwa Sitzbänke. Bis jedoch der Entscheid fällt, welche Elemente konkret wie gebaut werden, dauert es oft Jahre, in denen unzählige weitere Akteure stets von Neuem dazustossen und ihre je eigene Sicht einbringen.» Kurath möchte deswegen auch nicht von defensiver Architektur reden, denn das suggeriere, eine ganze Zunft würde öffentliche Räume gezielt so gestalten, dass Menschen ausgeschlossen werden. Wohl aber könne es im Rahmen des Prozesses von der Planung bis zum Bau zu «feindseligen Interventionen» kommen. Kurath nennt als Beispiel Sicherheits- oder Unterhaltserwägungen, die je nachdem dazu führen, dass bestimmte Personen an gewissen Orten unerwünscht seien. Auf diese Weise könne es vorkommen, dass am Ende des Entwicklungsprozesses ein bauliches Element wie beispielsweise eine Bank ohne Rückenlehne bewusst defensiv eingesetzt wird, obschon es ursprünglich gar nicht so konzipiert, sondern im Gegenteil inklusiv, also aneignungsoffen, gedacht wurde. Die Stadt ist Resultat solcher Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse. Im Falle defensiven Bauens ist es Ausdruck gesellschaftlicher Überforderung, so Kurath.

Formen der räumlichen Gewalt

Auch die Stadt Bern räumt ein, dass beim Konzept einer «Stadt für alle» Sicherheit eine hohe Priorität besitzt. «Sicherheitsrelevante Aspekte wie Beleuchtung, Übersichtlichkeit und die Vermeidung von potenziellen Angsträumen sind fester Bestandteil bei der Planung und Weiterentwicklung des öffentlichen Raums. Ziel ist es, ein sicheres und zugängliches Umfeld für alle Bevölkerungsgruppen zu schaffen, unabhängig von sozialen Zuschreibungen», heisst es seitens des Informationsdienstes der Stadt Bern.

Verschärfte Gesetze können ebenfalls Ausdruck solcher Sicherheitserwägungen sein. Dazu gehört in der Stadt Bern die Campingverordnung. Sie verbietet das Übernachten im öffentlichen Raum in der gesamten Stadt Bern. Das betrifft nicht bloss Tourist*innen, die ihren Van auf Parkplätzen abstellen, sondern auch wohnungslose Menschen. So bietet die «neue Berner Bank», die bis 2035 in der Stadt Bern flächendeckend installiert werden soll, unabhängig von deren Gestalt für Obdachlose wieder keine Option. Obschon man darauf, im Gegensatz zu anderen Sitzbänken, liegen und schlafen könnte, ist dies per Campingverordnung verboten; die Menschen können weggewiesen und mit bis zu 2000 Franken gebüsst werden.

Melina Wälti von der Kirchlichen Gassenarbeit Bern nimmt Fragen der Sicherheit im öffentlichen Raum ernst, sie kennt die Lage auf den Berner Strassen gut. Zugleich verweist sie auf einen grundsätzlichen Punkt: «Oft klaffen das persönliche Empfinden in Sachen Sicherheit oder Unsicherheit sowie die Realität auseinander. Man fühlt sich an gewissen Orten der Stadt unsicher, obschon die Zahlen etwa aus der Kriminalstatistik zeigen, dass es dort zu vergleichsweise wenigen Zwischenfällen kommt.» Gerade bei von Obdach- oder Wohnungslosigkeit betroffenen sowie suchtkranken Menschen werde das Gefühl der Unsicherheit oftmals durch Bilder in unserem Kopf und Stigmata hervorgerufen. Indem diese Menschen aus dem öffentlichen Raum verdrängt werden, würden solche Vorurteile aber nicht abgebaut, sondern eher noch verstärkt, so Wälti weiter. Insbesondere sei problematisch, wenn man allein auf der Grundlage von Empfindungen Massnahmen in Richtung defensiver Architektur treffe.

Eine Massnahme der besonderen Art haben die Schweizerischen Bundesbahnen beim Haupteingang am Bahnhof Bern umgesetzt. Seit rund einem Jahr wird dort unter anderem klassische Musik abgespielt, und zwar in einer Frequenz, die nach einer gewissen Zeit nachweislich als unangenehm empfunden wird. Was die SBB nicht abstreiten. Dass damit aber bestimmte Personengruppen vertrieben werden sollen – darunter «Randständige» –, weisen die SBB auf Nachfrage zurück. Vielmehr gehe es darum, einen «reibungslosen Personenfluss» zu garantieren, der gemäss der Erfahrung von SBB-Mitarbeiter*innen durch die abgespielte Musik tatsächlich positiv beeinflusst werde. Darüber hinaus verfolgen die SBB keine Absichten, im Gegenteil: «Bahnhöfe gehören zum öffentlichen Raum. Deshalb sind dort grundsätzlich alle Menschen willkommen.»

Roger Meier stösst das sauer auf. «Der Bahnhof Bern tut alles, um Menschen dorthin zu locken – allerdings nur zu einem Zweck: um einzukaufen. Wer nichts konsumiert und sich trotzdem dort aufhält, stört bloss. Und muss weg.» Tatsächlich gehört der Bahnhof Bern mit rund 200 000 Menschen, die ihn täglich frequentieren, zu den umsatzstärksten der Schweiz; über siebzig Läden stellen dort nahezu alles für den Tagesbedarf bereit – und zwar «365 Tage im Jahr, von früh bis spät», wie die SBB selber werben.

Für Meier ist die Situation am Bahnhof bloss ein Symptom einer generellen Strategie der Vertreibung unerwünschter Personen. «Immer mehr nehmen private Unternehmen den öffentlichen Raum ein, und alles läuft über den Konsum.» Er nennt als Beispiel Beizen, die ihre Tische und Stühle rausstellen und so immer mehr Platz besetzen, in Parks zum Beispiel. «Wer es sich nicht leisten kann, dort einen Kaffee für sechs oder sieben Franken zu trinken – Obdachlose, aber auch Rentner*innen oder Familien, die unten durchmüssen –, für den bleibt immer weniger Platz. Dabei ist das doch öffentliches Terrain, Raum für alle.»

«Liegen, Sitzen und Herumlungern verboten!» signalisiert dieses kleine Schild. Foto: Klaus Petrus

Obschon in diesem Fall keine besonderen baulichen Massnahmen getroffen werden, handelt es sich für Meier gleichwohl um eine feindselige Gestaltung des öffentlichen Raumes. Wie die abgeschrägten Sitzbänke, auf denen man nicht liegen kann, sendeten auch solche von Restaurants besetzten Plätze für Armutsbetroffene eindeutig das Signal aus, nicht willkommen zu sein, sagt Meier und redet von einer grundsätzlichen Ungerechtigkeit. Typischerweise lässt sich dieses Unrecht jedoch nur schwer beanstanden. Wer wäre denn konkret dafür verantwortlich: die Betreiber*innen eines Restaurants, das städtische Bauamt, die SBB? Letztlich nimmt diese Form der «räumlichen Gewalt» (wie der Philosoph Mickaël Labbé es nennt) die Gestalt einer Sitzbank oder einer Gruppe von Stühlen und Tischen an – und wie wollte jemand irgendwelchen Möbeln Vorwürfe machen? Diese vermeintlich harmlosen Beispiele zeigen, dass in unserer Gesellschaft ein «Wir» immer auch eng mit einem «Wo» verknüpft ist: Wie wir uns sozial (und auch politisch) organisieren, hängt massgeblich von Orten ab, an denen wir einander begegnen. Wer aber keinen Zutritt zu diesen hat, hat es ungleich schwerer, Teil der betreffenden Gemeinschaft zu sein.

Dialog und Solidarität

Wie könnte es anders gehen? Architekt Stefan Kurath ist überzeugt, dass sich nicht bloss inklusiv planen, sondern auch so bauen lässt. Im Rahmen einer Studie hat er entsprechende Orte in der Schweiz untersucht, darunter den Europaplatz in Bern – für Kurath ein positives Beispiel. Was womöglich erstaunen mag, denn der 2014 fertiggestellte Platz erscheint auf den ersten Blick unwirtlich. Es gibt dort abgesehen von einer Efeuwand und ein paar Blumentöpfen nur Asphalt. Flankiert wird er durch Betonsäulen und -treppen sowie einem multifunktionalen Gebäude, wo Wohnungen untergebracht sind, Büros, Läden, ein Restaurant und das Haus der Religionen. Auf der einen Seite des Platzes befindet sich ein S-Bahnhof, auf der anderen eine stark befahrene Strasse und darüber eine achtspurige Autobahnbrücke.

«Aus architektonischer Sicht ist der Europaplatz ein Beispiel für einen Ort, der durch die Art, wie er gebaut ist, nicht vorgibt, wer ihn nutzen darf und wie», sagt Kurath. Bei der Gestaltung öffentlichen Raumes stehen immer die Ansprüche unterschiedlicher Nutzer*innen zur Debatte; sie alle zu erfüllen, könne ein Raum unmöglich bewältigen. Deshalb gehe es darum, architektonische Bedingungen zu schaffen, wo sich die Nutzer*innen selber einbringen können und dabei auch Unerwartetes möglich werde. «Genau diese Voraussetzungen erfüllt der Europaplatz», so Kurath. Ein Beleg für diese Auffassung von «bespielbarem Raum» sind bestimmte Teile des Europaplatzes, die nach und nach von Skater*innen angeeignet wurden und die derzeit weiter ausgebaut werden. Es finden aber auch religiöse Feste oder Rollschuhpartys bis hin zu Kunstaktionen statt – Ereignisse, die bei der Planung des Platzes im Jahr 2008 noch nicht im Blick waren. Für Kurath sind Beispiele wie dieses ein Zeichen dafür, dass Plätze im öffentlichen Raum nicht als monolithische und unveränderbare Elemente der Städteplanung aufgefasst werden sollten, sondern als Angebote einer «Stadtwerdung», die sich in konstruktiven Aushandlungsprozessen mit den jeweiligen Nutzer*innen immer wieder neu gestalten lassen. «Bei Fragen der Gestaltung öffentlichen Raumes ist Dialog alles», fasst Kurath zusammen.

Auch wenn die warme Abluft womöglich Menschen im Winter guttäte, kann man hier nicht sitzen. Foto: Klaus Petrus

Und Solidarität, ergänzt Melina Wälti von der Kirchlichen Gassenarbeit Bern. Sie erinnert daran, dass es immer auch um Macht gehe bei der Frage, wem der öffentliche Raum oder die Stadt gehört. Öffentliche Räume werden zunehmend verdichtet und kommerzialisiert, und willkommen sind vor allem diejenigen, die in den Läden einkaufen und in den Cafés konsumieren. Diese Personen können den öffentlichen Raum wie selbstverständlich für sich beanspruchen und haben darüber hinaus das Privileg, über private Räume zu verfügen. «Die meisten von uns können sich aus dem öffentlichen Raum ins Private zurückziehen, wenn es uns zu viel wird oder wir unsere Ruhe haben möchten – in den eigenen vier Wänden, auf dem Balkon oder im Garten.» Wer dagegen auf der Strasse lebe, könne das nicht. Diese Person sei darauf angewiesen, sich dort aufhalten zu können, für sie werde das Öffentliche ein stückweit zum Privaten, so Wälti. «Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir, die bereits ein Zuhause haben, uns solidarisch zeigen gegenüber denen, die den öffentlichen Raum als Aufenthaltsort brauchen. Dass wir uns zurücknehmen, wenn es um die Frage geht, wem diese Orte gehören oder wer sie sich auf welche Weise aneignen darf. Und uns darauf einlassen, dass Neues und Unerwartetes entsteht, wenn man mehr Platz gibt statt Platz nimmt.»

Armlehnen inmitten der Sitzfläche verhindern das Ausstrecken der Glieder in der Waagerechten. Foto: Klaus Petrus

Mehr zum Thema Ausgrenzung