Museum: Auf der Suche nach einer Pause

30.01.2025TEXT: Sara Winter SayilirILLUSTRATIONEN: PIRMIN BEELER

Serie: Orte der Begegnung

In der Serie «Orte der Begegnung» begeben sich die Redaktionsmitglieder dorthin, wo in unserer funktionalen
Welt ein leiser, selbstverständlicher, informeller Austausch stattfindet.

Die mächtige Tür ist schwer zu öffnen, die elektrische Hilfe setzt erst ein, als man die Hälfte schon aufgestemmt hat. Dann bleibt sie offen stehen und damit in der kleinen Eingangshalle im Weg. Hier stapeln sich die Menschen beim Versuch, vor der Kasse rechts eine Schlange zu bilden, während links ungeduldige Kinder Gummidinos und Kuscheltiere erkunden.

Es ist Sonntagmorgen. Eltern versuchen, den Überblick zu behalten zwischen Bezahlen und Nein-Sagen. In der Mitte zu allem Überfluss ein Tisch mit weiteren Souvenirs. Er soll den Raum teilen und Ordnung schaffen – jene, die reingehen, von denen trennen, die rausgehen. Ein Konzept aus einer Welt, in der weniger Menschen unterwegs waren, genau wie die Tür, die sich immer gerade dann schliesst, wenn weitere Menschen reinwollen.

Die Menschen drängen sich vorsichtig umeinander, kulturinteressierte Alte, übernächtigte Eltern mit wachen Kindern und anderen dazwischen, die gern Platz machen würden, wenn denn welcher wäre. Das Museum ist in die Jahre gekommen, das neue Gebäude bereits im Bau, bis zum Umzug aber vergehen noch Jahre.

Wir sind wegen der eingepflanzten Seekuh hier, so sieht das Kalb neben seiner Mutter auf dem Werbeplakat für die Ausstellung zumindest aus, scherzen wir, als sitze es in einem Unterwasserblumentopf. Mein Sohn freut sich, mich führen zu dürfen. Weil er mit Schule und Tagi unzählige Mal hier war, kennt er das Haus in- und auswendig.

Am T-Rex-Kopf und der wohl gewilderten, fast 100-jährigen ausgestopften Giraffe vorbei geht es zum Saal mit den Bildern. Tierfotografie ist wohl der grosse gemeinsame Nenner, auf den sich alle einigen können. Es ist brechend voll. Mir ist unwohl. Wir entscheiden uns für eine Laufrichtung, eine vorgegebene können wir in der Dunkelheit kaum eruieren. Weil die Bilder quasi Leuchtkästen sind, halten sich sonstige Lichtquellen in Grenzen.

Neben uns rufen zwei Kinder im Vorschulalter um die Wette, welche Tiere sie bereits erkannt haben. Ich bin froh, dass mein Sohn aus dem Alter raus ist. Beide wollen die Aufmerksamkeit der Mutter fesseln, die ruhig und geduldig antwortet. Der Kleinere lässt sich auf alle viere herunter und macht das Gebrüll eines Löwen nach. Die Kinder sind schwarz, die Mutter weiss. Mir schiesst durch den Kopf: Was, wenn andere hier denken, dass gerade diese Kinder laut sind, sei ja wohl kein Wunder. Oder das Kind und die Löwenimitation irgendwie noch zueinander passend finden. Gerade flatterte das erste Flugblatt der nächsten rassistischen Politkampagne in den Surprise-Briefkasten, immer von denselben Absendern, sichtlich angelehnt an NS-Propaganda, die Sprache, die Farben, die Haltung. Es sind diese Kinder, die die Auswirkungen der Hetze zuerst zu spüren kriegen. Mir ist kalt, ich nehme meinen Sohn in den Arm.

Wir warten vor einer besonders beeindruckenden Aufnahme, sprechen leise über die Arbeit hinter den Bildern. Wie viel Zeit es braucht, bis so ein Bild gelingt, wie viel Inszenierung dahinter ist. Das ist nicht die Natur, das ist unser Wunschbild davon. Ich suche nach Erklärungen, aber mein Sohn hat keine Geduld für Bildtexte. Sie wirken doch, wie sie sind! Auch die Reportage-Beiträge mit ihrem Fokus auf Zerstörung überfliegt er lieber auf der Suche nach einer Pause von der derzeit besonders lauten Welt.

Mir gelingt das Abschalten schlecht, aber es hilft auch nicht, die Verzweiflung auf das Kind zu übertragen. Ich lasse mich weiterziehen. Wir stehen einem älteren, gut gekleideten Pärchen im Weg, die in der Mitte auf den Sitzgelegenheiten Platz genommen haben. Sie schauen indigniert. Ich kann nirgendwohin, wo ich nicht anderen die Sicht nähme. Immer nehmen wir irgendwem grad was weg, nur durchs Dasein. Ein Gen-Z-Pärchen in zu grossen Jacken geht an uns vorbei, ich hoffe, sie haben Kraft für all das, lieben einander, können sich aneinander festhalten in dieser dunklen Zeit. Mein Sohn schmiegt sich an mich. Schon wieder ist es so eng, dass wir nichts sehen. Er drängt nach vorn, ich halte ihn zurück, sage halblaut, dass wir warten sollten, bis «die Herrschaften» um uns herum weitergingen. Da tritt ein Mann zur Seite und sagt, das ginge schon, man könne ja etwas aufeinander achtgeben. Mir schiesst eine zynische Bemerkung durch den Kopf: Wenn es doch so einfach wäre!

Ich schaue ihn an, er lächelt. Er sieht nett aus, ungefährlich. Ich atme tief durch, stimmt, geht schon. Danke.

Mein Sohn fragt, ob wir jetzt weiterkönnten. Da draussen seien nämlich die Bienen, mal sehen, ob wir die Königin entdecken. Der Imker hat sie mit einem Stern markiert.

Mehr zum Thema Orte der Begegnung