Sich beschnuppern

05.09.2025Esther BanzIllustrationen: Pirmin Beeler

Als Hundehalterin trifft man, sobald draussen unterwegs, nicht selten auf andere Hund-Mensch-Gespanne. Zunächst begegnen sich in der Regel die Tiere. Als meine Hündin jung war, lief das so ab: Die beiden beschnuppern sich, dann fordert eine den anderen japsend und wedelnd zum Spiel auf –und schon sind sie nicht mehr zu halten. Je nach Lust und Kondition verfolgen sie einander abwechselnd bis zu einer halben Stunde, in hakenschlagendem Renngalopp. Irgendwann sind sie müde, purzeln übereinander, keilen sich im Liegen, mit offenen Mäulern, Zähne schlagen aufeinander. Schliesslich hecheln beide nur noch vor sich hin, den Kopf erhoben, mit heraushängender Zunge.

Während dieser ganzen Zeit stehen die Menschen, die zu den Hunden gehören, untätig in der Gegend herum. Zum Beispiel auf der Kasernenwiese im Zürcher Kreis 4. Wenn hier nicht gerade Zelte aufgebaut sind, ist die ehemalige Exerzierwiese des Militärs ein unscheinbarer grüner Freiraum. Hier dürfen Hunde frei herumtollen. Ich wohnte mit meiner Hündin ganz in der Nähe. Es war ein früher Sonntagmorgen. Ich trug Schlabberhosen, ein ausgeleiertes T-Shirt und Schuhe, die von einem früheren Spaziergang noch dreckig waren, das schwarze Fell meiner Hündin glänzte. Kaum auf der Wiese angekommen, erspähte sie einen sehr viel kleineren weiss-lockigen Rüden und trabte auf ihn zu. Seine Begleiterin hatte ich schon von Weitem gesehen, ihre wasserstoffblonde Kurzhaarfrisur und die rot geschminkten Lippen fielen auf. Nun standen wir nebeneinander, ich in meiner schluffigen Wanderkluft, sie im engen Top mit Spaghettiträgern. Sie musterte mich, zog an ihrer Zigarette, nickte kurz und sagte: «Dich hab ich hier noch nie gesehen.» Ich klaubte auch eine Zigi hervor. Sofort zückte sie ihr Feuerzeug und sagte: «Ich bi d’Rosy.» – «Esther.» Dann schwiegen wir. Bis Rosy sagte, ihr Hund heisse Pipo. Meine Hündin hiess Gina. Pipo und Gina waren in ihrem Ritual inzwischen am Punkt endlose Verfolgungsjagd.

Die Sonne brannte. Rosy wollte wissen, wie alt Gina ist. Erst ein paar Monate, sagte ich. Pipo sei auch erst ein Jahr alt, ein frecher Kerl, sagte Rosy und rief seinen Namen. Prompt kam er angesprungen und Gina hinterher. Es gab Guddeli für beide. Plötzlich huschte Pipo unvermittelt davon. Mit lautem Gebell rannte der kleinbeinige Wuschel auf zwei grosse, muskulöse Artgenossen zu, die gerade auf der Wiese angekommen waren. Rosy, die sich eben erst hingesetzt hatte, sprang auf, rief angstvoll: «Pipo! Hier! Piiiipo!! Piiiiipooooo!!!!» Er hörte nicht. Also packte sie seine Leine und rannte nun ebenfalls. Später erzählte sie mir, dass Pipo von einem dieser Hunde schon einmal gebissen worden sei. Vor lauter Aufregung hatte ich Gina ausser Acht gelassen, und nun war sie weg. Ich schaute in alle Richtungen, nichts. Schliesslich fand ich sie auf der anderen Seite eines Durchgangs um die Ecke, mit einer neuen Bekanntschaft, und gerade versuchte dieser Hund, sie zu besteigen. Na bravo. Ein Mensch mit Leine in der Hand schaute belustigt zu, offensichtlich der Halter. «Männchen?» rief ich, wohl etwas schrill. «Weibchen.» – «Ach so. Ja dann.» Der Mensch hiess Peter. Er arbeitete bei der Polizei. Wir begegneten uns noch öfter, Gina mochte seine Chiara und spielte ebenso gern mit ihr wie mit Pipo.

Ich liebe es, spielenden Hunden zuzusehen. Diese Freude, diese Energie. Und was für eine Möglichkeit, Menschen kennenzulernen, mit denen man sonst nie ins Gespräch käme. Rosy ist übrigens Coiffeurin mit eigenem Geschäft, gleich bei der Hundewiese. Seit unserer ersten Begegnung gehe ich zu ihr zum Haare schneiden. Jeder Austausch mit ihr tut gut, ich fühle mich danach nicht nur gepflegter, sondern auch klüger. «Gäll, du hast mich bei unserer ersten Begegnung für eine Tussi gehalten», fragte sie mich kürzlich, als ich wieder einmal bei ihr im Stuhl sass. «Mm, na ja …», brummelte ich in den Schneideumhang hinein, den sie mir zackig angelegt hatte. Dann legte ich meinen Kopf in ihre Hände. Pipo und Gina sind inzwischen beide von uns gegangen. Bestimmt tollen sie miteinander auf einer Hundewiese im Jenseits rum.

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