Die Abersager

17.12.2023Text: DMITRIJ GAWRISCH, Illustration: Katrin von Niederhäusern

DMITRIJ GAWRISCH

DMITRIJ GAWRISCH, geboren 1982 in Kyjiw, Ukraine, studiert Wirtschaftswissenschaften in Bern. Er schreibt Theaterstücke und Prosa. Im April 2024 feiert seine Patchwork-Komödie «Die Dampfnudel» bei Bühnen Bern Premiere.

Aber es ist doch Nacht, noch lange Nacht, warum hört dieses dumme Handy nicht auf zu vibrieren?

Der Krieg hat begonnen, schreibt die Schwester.

Aber zum Glück wird das alles nicht lange dauern, drei Tage, höchstens, was hat die kleine Ukraine der russischen Übermacht schon entgegenzusetzen?

Aber können sich die Ukrainer nicht einfach ergeben, um weitere Opfer zu vermeiden?

Aber die Ukrainer haben Russland doch provoziert, warum beharren sie auch so auf ihrer eigenen Sprache, warum wollen sie ausgerechnet in diese korrupte EU?

Aber war die Ukraine nicht immer schon ein Teil Russlands?

Aber wetten, dass irgendwann rauskommt, dass hinter allem mal wieder die USA stecken?

Aber unsere Medien erzählen uns nur die halbe Geschichte, damit das klar ist.

Aber unsere Sanktionen dürfen die normalen Russinnen und Russen nicht treffen, sie sind in diesem Krieg genauso Opfer wie die Ukrainer.

Aber Hand aufs Herz: Würdest du, wenn du in einem autoritären Staat lebst, nicht auch einfach die Klappe halten, statt gegen einen Krieg zu protestieren, den du eh nicht verhindern kannst?

Aber was wird aus unserer Wirtschaft ohne russisches Gas?

Aber ich würde doch so gern bald eine Reise mit der Transsibirischen machen, das ist ein Lebenstraum von mir, wissen Sie?

Aber was geht mich diese Ukraine überhaupt an?

Ich brauche Munition, keine Mit­ fahrgelegenheit, sagt der Präsident.

Aber verlängern Lieferungen tödlicher Waffen nicht bloss das sinnlose Blutvergiessen?

Aber Waffenexporte in Kriegsgebiete sind aus gutem Grund verboten.

Aber verkauft die Ukraine die gelieferten Waffen nicht auf dem Schwarzmarkt weiter?

Aber die russischen Soldaten, die haben doch auch Frauen, Kinder, Hunde, Katzen.

Aber wir müssen dafür sorgen, dass die Ukraine keine Ziele auf russischem Gebiet treffen kann.

Aber ein Krieg gegen eine Atommacht ist eh nicht zu gewinnen.

Aber das ist doch gar kein echter Krieg, sondern bloss eine spezielle Militäroperation zur Denazifizierung und Demilitarisierung der Ukraine.

Aber bei allem Verständnis für das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine dürfen wir Russlands Sicherheitsinteressen nicht vergessen.

Aber die russischen Soldaten sterben doch nur, weil sie versuchen, die russischsprachige Minderheit in der Ukraine zu schützen.

Aber langsam finde ich das schon ein bisschen lästig: Können diese Ukrainer nicht mal aufhören, um immer mehr Panzer zu betteln?

Aber wir wissen doch wohl am besten, ob die Ukraine auch Kampfflugzeuge braucht oder nicht.

Mein Zuhause ist kaputt, sagt das Kind.

Aber warum kriegen die ukrainischen Flüchtlinge hierzulande eine Vorzugsbehandlung?

Aber syrische Fahnen hat seinerzeit doch auch niemand ins Fenster gehängt, wie sehen die überhaupt aus?

Aber wir haben doch genug eigene Probleme.

Aber als Demokrat*innen müssen wir beide Seiten ernstnehmen: Wie sehen eigentlich die Russ*innen diese Angelegenheit?

Aber jetzt muss die Ukraine endlich an den Verhandlungstisch gezwungen werden.

Aber wenn ich eine Schweigeminute für die ukrainischen Toten einlegen soll, dann will ich gefälligst auch eine Schweigeminute für alle anderen Toten einlegen, verstanden?

In der Ukraine sterben Kinder, sagt der Vater.

Aber unsere Neutralität ist wichtiger.

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